Besuch und Nähe
Besuchseinschränkungen und –verbote bei schwerkranken und sterbenden Menschen haben seit Anfang der Corona-Pandemie viel Leid sowohl bei den Patient*innen als auch bei den Angehörigen verursacht und wurde auch in der Öffentlichkeit breit thematisiert. Besuchsverbote hatten zum Teil drastische Folgen:
- Die Patient*innenversorgung verschlechterte sich, z.B. weil keine Angehörigen in der Kommunikation mit dem Versorgenden vermitteln konnten.
- Die Versorgung durch Hospizmitarbeitende oder Ehrenamtliche wurde an vielen Orten eingestellt, weil Ehrenamtliche als Besucher*innen gewertet wurden und keine Zugang mehr erhielten.
- Es kam zu einer massiven psychischen Belastung der Patient*innen. Besonders betroffen waren alleinstehende oder körperlich eingeschränkte Patient*innen. Das hatte auch Auswirkungen auf den Krankheitsprogress durch fehlende Fürsorge, z.B. ein verstärkter kognitiver Abbau bei fortgeschrittener Demenz oder die Entstehung von neuen Symptomen.
- Besuchseinschränkungen hatten oft auch strukturelle Ursachen, wie Mangel an Schutzausrüstung für Angehörige, an Personal zur Einweisung der Besucher*innen oder an Rückzugsräumen.
- Differenzierte Konzepte, die auch Besuche ermöglichen, waren nicht Teil der Pandemiepläne (sofern vorhanden), wurden nicht umgesetzt oder waren unklar formuliert und führten zu Verunsicherung bei Patient*innen und Angehörigen. Es fehlten Konzepte für den Zugang infizierter Angehöriger oder für den Besuch von mehr als einer Kontaktperson (der Besuch durch Kinder war sonst fast unmöglich).
- Infektionsschutz und Hospizgedanke bzw. würdige Sterbebegleitung waren nur schwer zu vereinbaren.
- Um persönliche Besuche durch digitale Kommunikation kompensieren zu können, fehlten die Voraussetzungen: Es mangelte an Endgeräten oder stabilem Internet, das Personal hatte keine Kapazitäten, um bei Schwierigkeiten im Umgang mit Kommunikationsmitteln zu helfen und es herrschte Unklarheit über den Datenschutz.
Es gilt einerseits den Einzelnen vor Infektion zu schützen und die Ausbreitung der Infektion in der Bevölkerung zu verhindern. Andererseits ist das Bedürfnis nach Nähe gerade in schwerer Krankheit und beim Sterben sowohl für die Patient*innen als auch für die Angehörigen so wichtig und existentiell, dass ein Nicht-Nachkommen dieses Bedürfnisses nicht vertretbar ist und als Verletzung der Menschenwürde beurteilt wird.
Andererseits gibt es zahlreiche Berichte von vielfältigen guten Beispielen und Lösungen im Einzelfall oder auf Einrichtungsebene, in denen eine angemessene Begleitung am Lebensende durch Angehörige auch in Hochphasen der Pandemie ermöglicht wurde.
Handlungsempfehlungen
Vermeidung von Vereinsamung, Stigmatisierung und Unterversorgung
Abwägung zwischen individuellen Bedürfnissen von Patient*innen und dem Infektionsschutz
Ermöglichung des Besuches und der Begleitung durch Angehörige
Gesonderte Regelungen für Palliativpatient*innen bei der Erstellung von Kontaktbeschränkungen
Besuchskonzepte für Angehörige
Ausreichend Schutzmaterial und Personal für Besuche von Angehörigen
Alternativen zur Begleitung von Angehörigen, wenn Besuche nicht möglich sind
Bereitstellung von Kommunikationsmitteln für Nähe zwischen Patient*innen und Angehörigen