Studienergebnisse
Versorgung
Deutschlandweite Online-Befragung von Hausärzt*innen zu ihren Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze in der Betreuung schwerkranker und sterbender Patient*innen (mit/ohne COVID-19) und ihrer Angehörigen in der ersten pandemischen Hochphase 2020
Ziel der Studie
Beschreibung der Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze von Hausärzt*innen in der Betreuung von schwerkranken und sterbenden Patient*innen während der ersten pandemischen Hochphase 2020.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Praktizierende Hausärzt*innen in Deutschland
Methodik
Durchführung einer Online-Befragung mit UniPark mit Hausärzt*innen im November und Dezember 2020. Nutzung von SPSS für deskriptive Auswertungen quantitativer Daten. Freitextkommentare wurden nach der inhaltsanalytischen Methodik von Kuckartz mit MAXQDA ausgewertet.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Hausärzt*innen haben in der ersten pandemischen Hochphase größtenteils unverändert viele Hausbesuche bei schwerkranken und sterbenden Patient*innen durchgeführt wie vor der Pandemie.
- Videosprechstunden spielten in der Versorgung dieser Patientengruppe kaum eine Rolle.
- Angehörigenbesuche in Pflegeheimen waren nur eingeschränkt oder gar nicht möglich.
- Der körperliche und psychische Gesundheitszustand von schwerkranken und sterbenden Patient*innen in der Häuslichkeit und in Pflegeeinrichtungen hat sich nach Beobachtungen der Hausärzt*innen verschlechtert.
- Hausärzt*innen beobachteten mit der pandemischen Situation assoziierte psychosoziale Belastungen bei schwerkranken und sterbenden Patient*innen sowie ihren Angehörigen hauptsächlich aufgrund der Besuchseinschränkungen.
Ergebnisse
Die Befragung wurde von 410 Hausärzt*innen aus allen 16 Bundesländern in Deutschland beantwortet. Etwa die Hälfte der Befragten (51,5%) hat eine Zusatzqualifikation in Palliativmedizin. Alle Hausärzt*innen hatten grundsätzliche Erfahrungen sowohl in der Betreuung schwerkranker und sterbender Patient*innen als auch von SARS-CoV-2 positiven Patient*innen in ihrer Praxis.
Die Mehrheit der Befragten bewertete die Qualität der Versorgung ihrer schwerkranken und sterbenden Patient*innen in der ersten pandemischen Hochphase in 2020 als gleichbleibend
(61,5%); weitere 36,8% gaben eine Abnahme der Qualität im Vergleich zu Zeiten vor der Pandemie an. Von allen Hausärzt*innen, die Hausbesuche bei schwerkranken und sterbenden Patient*innen in der Häuslichkeit machten, berichteten 61,4% von einer gleichbleibenden Anzahl und 28,5% von weniger Hausbesuchen im Vergleich zur Situation vor der Pandemie.
62,7% der Hausärzt*innen berichteten über eine erhöhte Anzahl von telefonischen statt persönlichen Kontakten mit ihren schwerkranken und sterbenden Patient*innen. Davon gaben 36,2% an, dass sich die Qualität der Sterbebegleitung durch den Wegfall persönlicher Kontakte verschlechtert habe. Die Ergebnisse für die Begleitung der Angehörigen per Telefon sind vergleichbar. Von allen Teilnehmer*innen boten 36,1% generell Videosprechstunden anstelle von persönlichen Kontakten an, was allerdings bei schwerkranken und sterbenden Patient*innen kaum eine Rolle spielte. Bei Angehörigen schwerkranker und sterbender Patient*innen wurden Videosprechstunden durchaus eingesetzt.
Die Befragten bewerteten die Zusammenarbeit mit anderen Hausärzt*innen, ambulanten Pflegediensten und Pflegeheimen als gut. Schlechter (befriedigend bis ausreichend) hingegen wurde die Zusammenarbeit mit Physio-, Ergo- und anderen therapeutischen Professionen, Fachärzt*innen,
Krankenhäusern und Gesundheitsämtern betrachtet.
Lokale Gesundheitsbehörden wurden als überlastet wahrgenommen und vor allem wegen ihrer mangelnden Erreichbarkeit kritisiert.
Die Hygienekonzepte der Pflegeheime wurden als uneinheitlich beschrieben. Darüber hinaus wurde von Problemen bei der Aufnahme schwerkranker Patient*innen in Pflegeheimen während der ersten pandemischen Hochphase 2020 berichtet.
Nach Angaben der Hausärzt*innen durften viele Angehörige Patient*innen in Pflegeheimen nur eingeschränkt (48,5 %) oder gar nicht besuchen (33,4%). Hausärzt*innen schätzten das Abschiednehmen von Angehörigen von sterbenden Patient* innen als sehr eingeschränkt (91,7%) oder nicht möglich (56,1%) ein.
Bedingt durch Kontakteinschränkungen und Besuchsverbote nahmen die Hausärzt*innen eine Verschlechterung sowohl des körperlichen als auch des psychischen Gesundheitszustandes von Patient*innen in der Häuslichkeit und in Pflegeeinrichtungen wahr.
Zudem beobachteten die Teilnehmenden Angst vor Einsamkeit von schwerkranken und sterbenden Patient*innen in Pflegeheimen (91,9%), zu Hause (87,3%) und im Krankenhaus (86,1%).
Hinsichtlich der psychosozialen Belastung der Angehörigen berichtete die Mehrheit der Hausärzt*innen von einer erhöhten Belastung durch weniger Informationen, die Angehörige über Patient*innen erhalten (85,9%) sowie durch fehlende Möglichkeit, Patient*innen mit ihrer körperlichen Anwesenheit und Nähe zu unterstützen (99,3%).
Als wichtigste Aspekte der Patientenversorgung nannten die Hausärzt*innen die Ermöglichung sozialer Kontakte für schwerkranke und sterbende Patient*innen, hier insbesondere Besuche von Angehörigen.
92,4% der Befragten stimmten (voll und ganz/ eher) zu, dass Hausärzt*innen in lokale Krisenteams eingebunden werden sollten, und 79,5% stimmten (voll und ganz/ eher) zu, dass Palliativmediziner*innen involviert werden sollten.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse unserer Online-Befragung geben Einblicke in das Erleben der Pandemie auf Seiten von Hausärzt*innen in Deutschland und unterstützt die Entwicklung einer nationalen Strategie zur Palliativversorgung in Pandemiezeiten. Dabei sollten das Aufrechterhalten von Angehörigenbesuchen und die vermehrte Nutzung von Videokommunikation besonders bedacht werden.
Verantwortliche
Medizinische Hochschule Hannover (MHH) | Prof. Dr. Nils Schneider, Prof. Dr. Stephanie Stiel, Jan Weber, Jannik Tielker
Ethikvotum
Ethikvotum der Ethikkommission der MHH (Nr. 9232_BO_K_2020) vom 24.07.2020.
Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze von niedergelassenen Onkolog*innen bei der Versorgung schwerkranker Patient*innen in palliativer Behandlungssituation und deren Angehörigen während der ersten pandemischen Hochphase 2020. Eine qualitative Interviewstudie.
Ziel der Studie
Exploration der Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze niedergelassener Onkolog*innen mit der Betreuung ihrer schwerkranken Patient*innen (mit oder ohne COVID-19) und deren Angehörigen während der ersten pandemischen Hochphase 2020.
Zielgruppe
In Deutschland praktizierende niedergelassene Onkolog*innen.
Methodik
Durchführung von 13 qualitativ-leitfadengestützten telefonischen Interviews mit niedergelassenen Onkolog*innen aus sieben Bundesländern. Die Tonbandaufzeichnungen wurden verbatim transkribiert und unter Verwendung von MAXQDA nach Kuckartz inhaltsanalytisch ausgewertet. Quantitative soziodemografische Daten wurden mit Excel 2016 berechnet.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Eine entschlossene Implementierung struktureller und personeller Infektionsschutzmaßnahmen hielt die ambulante onkologische Versorgung in den Praxen unserer Interviewteilnehmer*innen weitestgehend aufrecht.
- Lokale Netzwerke Versorgender erweisen sich auch in Pandemiesituationen als stabil.
- Praxen und Patient*innen benötigen einfache und sichere digitale Kommunikationslösungen.
- Während anhaltendem oder erneuten Pandemiegeschehen muss die priorisierte Testung von onkologischen Patient*innen und medizinischem Personal geregelt sein.
- Kassenärztliche Vereinigungen und Gesundheitsämter müssen für die Praxen besser, d.h. flexibler und verlässlicher, erreichbar sein.
Ergebnisse
Die interviewten Onkolog*innen (Durchschnittsalter 54,4 Jahre; weiblich 2, männlich 11) gingen bei der ambulanten Versorgung ihrer Patient*innen in palliativer Behandlungssituation eher nicht von pandemiebedingten Qualitätseinbußen aus. Fast alle (Chemo- und Transfusions-) Therapien wurden fortgeführt. Kritisch wurde die anfängliche Absage oder Verschiebung von Nachsorge- und Kontrolluntersuchungen gesehen, da für deren Nachholung nunmehr kaum zeitliche Kapazitäten zur Verfügung standen. Betroffen waren vor allem Patient*innen, die als stabil galten oder sich nicht in einer Intensivphase der Therapie befanden. Gleiches gilt für patientenseitige Terminabsagen, die durch Angst vor Ansteckung motiviert waren. Nur bei sehr wenigen Patient*innen habe sich der Behandlungsbeginn durch verspätete Überweisungen aus der hausärztlichen Versorgung verzögert.
„Manche haben sich nicht getraut, zu kommen. Die waren verunsichert. Manche wollten erst recht kommen, weil sie verunsichert waren und (unv.) das war ein breites Feld, aber der durchschnittliche Patient, der bei uns betreut wird, […] mit Transfusion, palliativer Chemotherapie [, musste kommen]“ (Interview 13, 22)
Durch separate Ein- und Ausgänge, Umsteuerung des Patientenaufkommens durch verlängerte Öffnungszeiten und die Reorganisation von Wartebereichen und Terminplänen wurde dem Abstandsgebot in den Praxen Rechnung getragen. Die Teilung von Praxisteams, Homeoffice Regelungen und wöchentliche Wechselschichten dienten dem Infektionsschutz sowie der Aufrechterhaltung der Versorgung im Falle von Infektionen unter Angestellten. Vielerorts fehlende Ausweichräumlichkeiten zur separaten Behandlung von Infektionsverdachtsfällen wurden als Hindernis erlebt. Um Infektionsketten nachverfolgen zu können, wurde die Therapieplatzbelegung sowie das jeweils fest zugordnete Personal dokumentiert. Patientin*innen wurden vor Eintritt in die Praxen zu möglichen Symptomen befragt.
„Und dann zu den Lockdown-Zeiten hatten wir auch noch eine Regel, dass jeder Patient, der einen Termin hat, dass wir die einen Tag vorher anrufen und fragen, ob sie Risikozeichen haben. Sodass sie dann nicht hierherkommen.“ (Interview 8, 59)
Der Nutzung von Videokonferenzen standen Hemmnisse entgegen, wobei mangelnde patientenseitige Erfahrung und Vorbehalte bezüglich des Umgangs mit entsprechenden technischen Anwendungen sowie Unsicherheiten bezüglich des Datenschutzes auf Seiten der Praxen angeführt wurden. Die Frequenz telefonischer Kontakte zu Patient*innen und ihren Angehörigen zur Befundbesprechung und Therapieüberwachung hat sich demgegenüber erhöht. Dies half auch im Umgang mit Angehörigen, die die Patient*innen mehrheitlich nicht in die Praxis begleiten durften. Diese Infektionsschutzmaßnahme wurde in den Praxen dann pragmatisch gehandhabt, wenn Angehörige zur Betreuung, als Übersetzerinnen oder im Rahmen der Mitteilung terminaler Diagnosen anwesend sein mussten. Diese Regelung stieß bei einigen Angehörigen auf Unverständnis, auch weil sie sich nicht mehr ausreichend informiert sahen, was den Onkolog*innen zufolge teilweise zutraf. Ängste der Patient*innen vor einer COVID-19-Infektion führten zudem zu erhöhtem Gesprächsbedarf. Finanzieller Mehraufwand entstand anfänglich im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schutzausrüstungen und Aerosolbarrieren. Durch bald einsetzende Lieferungen der Kassenärztlichen Vereinigung wurde dieser begrenzt. Dennoch sorgten enorme Preissteigerungen für „Pfennigartikel“ (Masken, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel) für Verärgerung.
„Das ist natürlich die Vorratshaltung, dass die entsprechenden Firmen bzw. die KV da ein Auge drauf hat. Das ist denke ich das Wichtigste überhaupt […], das darf so nicht mehr vorkommen.“ (Interview 12, 7)
Lohnfortzahlungen für in Rufbereitschaft entsandtes Personal wurden als weitere Belastung beschrieben. Die erste pandemische Hochphase zum Jahresbeginn 2020 ging mit mangelnder Erreichbarkeit und fehlender Information von Kassenärztlichen Vereinigungen und Gesundheitsämtern einher und wurde deshalb als „sehr intensiv“ erlebt. Weitestgehend problemlos konnte hingegen die Zusammenarbeit mit anderen Versorgern wie Hausärzt*innen, Langzeitpflegeeinrichtungen und Hospizen fortgeführt werden. Als problematisch wurden unklare Testprozedere bei Infektionsverdacht sowohl bei onkologischen Patient*innen in Palliativsituationen wie auch bei medizinischem Personal beschrieben. Die Interviewten wollen beide Gruppen daher bei Testungen priorisiert wissen.
Schussfolgerung
Die schnelle und konsequente Umsetzung von Maßnahmen des Infektionsschutzes sowie Anpassungen der strukturellen und personellen Organisation haben die Betreuung onkologischer Patient*innen und ihrer Angehörigen durch die niedergelassenen Onkolog*innen begünstigt. Die Praxen scheinen diesbezüglich für zukünftiges Pandemiegeschehen gewappnet zu sein. Vorbehalte gegenüber dem Einsatz digitaler Lösungen in der Ärzt*innen-Patient*innen-Kommunikation sollten hingegen überwunden und der Umgang mit infizierten und infektionsverdächtigen Patient*innen Gegenstand lokalräumlicher Pandemieplanungen werden. Die priorisierte Testung von medizinischem Personal und behandlungsbedürftigen Patient*innen sowie die Kompensation personeller Mehrkosten ist von übergeordneten Instanzen zu regeln.
Verantwortliche
Medizinische Hochschule Hannover (MHH) | Prof. Dr. Nils Schneider, Prof. Dr. Stephanie Stiel, Jan Weber
Ethikvotum
Ein positives Ethikvotum (Nr. 9232_BO_K_2020 vom 24.07.2020) wurde von der Ethik-Kommission der Medizinischen Hochschule Hannover erteilt.
Erfahrungen und Lösungsansätze von Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe und Pflegediensten in der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV) während der SARS-CoV-2 Pandemie
Ziel der Studie
Die qualitative Studie fokussiert auf Erfahrungen von Mitarbeiter*nnen von ambulanten Pflegediensten und stationären Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe während der Frühphase der SARS-CoV-2-Pandemie im Frühling 2020 und den folgenden Monaten.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Mitarbeiter*innen von ambulanten Pflegediensten und stationären Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe.
Methodik
Die Studie folgt einem qualitativen Ansatz mittels halbstrukturierter leitfadengestützter Interviews. Auf Grundlage der aktuellen Literatur und Vorerfahrungen aus ähnlichen Studien wurde ein halbstrukturierter Interviewleitfaden deduktiv entwickelt. Dieser wurde mit Expert*innen der beiden Lehrstühle und dem Gesamtprojekt diskutiert und an unterschiedliche Zielgruppen (niedergelassene Onkologen, Pflegedienste und stationäre Einrichtungen) inhaltlich angepasst.
Die Rekrutierung wurde über die öffentlich zugänglichen Informationen aus dem Wegweiser Hospiz- und Palliativversorgung Deutschland vorgenommen. Selektionskriterien für Einrichtungen und Dienste waren Lokalisation in verschiedenen Bundesländern sowie in hochbetroffenen oder leichtbetroffenen Regionen (Grundlage: RKI-Dashboard). Eine Anfrage zur Teilnahme erfolgte in der Regel per E-Mail. Aufgrund von Reise- und Kontaktbeschränkungen fand die Mehrzahl der Interviews per Telefon statt. Die während des Interviews erstellten Audiodateien wurden verbatim transkribiert. Die so erstellten Transkripte wurden in Bezug auf Institutionen, Orte und Namen anonymisiert.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Erreichbarkeit von niedergelassenen Ärzt*innen für stationäre Einrichtungen soll priorisiert und sichergestellt werden.
- Telemedizinische Lösungen sollen hierzu vermehrt genutzt werden.
- Bei sterbenden Bewohner*innen sollen soziale Kontakte mit Angehörigen sichergestellt werden.
- Belastungserfahrungen in Teams durch erschwerte Trauer sollen frühzeitig thematisiert werden.
- Schutzmaterial für Einrichtungen und Teams soll sichergestellt werden.
Ergebnisse
Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze von ambulanten Pflegediensten
Es wurden 9 Interviews mit Mitarbeiter*innen von Pflegediensten aus der AAPV in Nordrhein-Westfalen, Hessen, und Hamburg sowie 2 mit ambulanten Palliativ- und Hospiz-Beratungsdiensten in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Eine klare unmittelbare Kommunikation wurde als wichtiger Erfolgsfaktor für eine aufrechterhaltene gute Versorgungsqualität in der Pandemie beschrieben. Diese schloss sowohl die teaminterne Kommunikation als auch jene mit Einrichtungen/Behörden sowie mit Patient*innen/ Angehörige ein. Als Defizit wurde der Verzicht auf Treffen/ Supervision wahrgenommen. Diese konnten nur teilweise auf online Formate umgestellt werden. Von Teilnehmer*innen wurden Krankenhausentlassungen mit unzureichender Vorbereitung beobachtet, u.a. seien diese auf Wunsch von Angehöriger wegen Besuchsbeschränkungen initiiert worden. Unter anderem habe dies vermutlich zumindest regional zu stabilen bzw. zunehmenden Fallzahlen in der ambulanten Versorgung geführt. Von Teilnehmer*innen wurde eine Zunahme von kurzen Verläufen (Tage) berichtet. Das Aussetzen von Besuchen/ Verringern von Kontakten wurde häufig auf Wunsch von Angehörigen vorgenommen. Teilweise wurden persönliche Kontakte durch Telefonkontakte ersetzt. In Bezug auf positive Erfahrungen mit Kooperationspartnern wurden gewachsene Netzwerkstrukturen als hilfreich empfunden. Besondere Beachtung fand der Schutz der Mitarbeiter:innen. Leitungen von Diensten berichteten, dass sie In der Frühphase der Pandemie oftmals eigeninitiativ werden mussten, um z.B. die Versorgung mit Masken zu gewährleisten. Wirtschaftlich bereiten die um ein Mehrfaches gestiegenen Preise für Schutzmaterialien den Diensten Probleme. Entlastung hätten regionale Kompensationsmechanismen für gestiegene Personal- und Materialausgaben („Rettungsschirm“) gebracht. Die Anwendung von Schnelltests habe zur Sicherheitsgefühl der Mitarbeiter*innen beigetragen. Gerade zu Beginn der Pandemie habe große Verunsicherung in den Teams geherrscht.
Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze von Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe
Insgesamt konnten 9 semistrukturierte Interviews mit Vertreter*innen von stationären Einrichtungen geführt werden, 2 davon mit Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Die interviewten Personen, die überwiegend aus dem Leitungsbereich stammten, berichteten, dass die Qualität der Palliativversorgung in der Hochphase der Pandemie stark von der Gesamtsituation der Einrichtung geprägt war. In besonders von COVID-19 betroffenen Einrichtungen galt die Sorge vordringlich der Sicherung der Grundversorgung aller Bewohner:innen. In Einrichtungen mit eigenem geschulten Palliativkräften gelang eine allgemeine Palliativversorgung eher als in Einrichtungen, die auf externe Dienste angewiesen waren, da diese oftmals nicht mehr in die Einrichtungen kamen. In allen Einrichtungen wurden größere räumliche und vor allem personelle Neuzuordnungen (z.B. Pflege in Einzelzimmer, Infektionsbereiche, Übernachten der Teams im Haus) geschaffen, soweit dies baulich und personell möglich war. Insbesondere die Kontaktbeschränkungen für Angehörige wurden als belastend beschrieben. Überwiegend wurde berichtet, dass für sterbende Bewohner:innen Ausnahmeregelungen, oftmals in Eigeninitiative, organsiert wurden, um eine Anwesenheit von Angehörigen in der Sterbephase zu ermöglichen. Alle Einrichtungen haben in der Lockerungsphase Initiativen getroffen mittels Zugangsregelungen (Kontrolle auf Symptome, Temperaturmessung, Schnelltests) und baulichen Änderungen, um Besuche zu ermöglichen. Hierzu war zusätzliches Personal notwendig. In von Infektionen schwerbetroffenen Einrichtungen wurden massive Belastungserfahrungen für das Personal berichtet, wenn Bewohner*innen z.B. nach einer akuten Verlegung in ein Krankenhaus, dort verstorben waren und ein Verabschieden nicht möglich war. Hier halfen später in einigen Fällen selbst initiierte Trauerrituale. Kooperationen mit niedergelassenen Ärzt*innen seien in der Hochphase der Pandemie durch Unsicherheiten bezüglich des persönlichen Kontakts seitens der Ärzt*innen oder erschwerter Erreichbarkeit beeinträchtigt gewesen. Technische Lösungen zur Erleichterung der Kommunikation zwischen Angehörigen und Bewohner*innen seien zunächst eher spontan und individuell genutzt worden.
Schlussfolgerung
Transparente unmittelbare Kommunikation von Maßnahmen ist sicherzustellen. Dabei sollten auch telemedizinische Lösungen genutzt werden. Erreichbarkeit von niedergelassenen Ärzt*innen für stationäre Einrichtungen soll priorisiert und sichergestellt werden. Bei sterbenden Bewohner*innen sollen soziale Kontakte mit Angehörigen geregelt sichergestellt werden. Belastungserfahrungen in Teams durch erschwerte Trauer sollen frühzeitig thematisiert und durch individuelle Trauerangebote unterstützt werden.
Verantwortliche
Uniklinik RWTH Aachen |Prof. Roman Rolke, Norbert Krumm
Ethikvotum
Ein positives Votum der Ethikkommision der Medizinischen
Fakultät der RWTH Aachen (EK 305/20) liegt vor.
Die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung in Pandemiezeiten – Qualitative Erhebung mit Online-Fokusgruppen
Ziel der Studie
Ziel des Arbeitspaketes war es zu klären, wie die Arbeit von SAPV-Teams in Deutschland durch die erste Welle der Covid-19 Pandemie beeinflusst wurde; welche Herausforderungen die SAPV-Teams dabei erlebt haben und mit welchen Strategien diese Herausforderungen durch die SAPV-Teams bewältigt wurden.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
SAPV-Teams und Stakeholder aus den Landesverbänden SAPV in Deutschland
Methodik
Es wurden vier Online-Fokusgruppen mit insgesamt 20 Vertreter*innen aus 18 SAPV-Teams durchgeführt. Die Auswahl der teilnehmenden Teams wurde deutschlandweit in Abhängigkeit der Betroffenheit durch die Covid-19 Pandemie (nach Inzidenzwerten pro 100.000 Einwohner*innen: hohe, eher hohe, eher geringe und geringe Inzidenz) sowie innerhalb der Inzidenz-Gruppen nach Organisationsstruktur (kleine unabhängige Teams, große Netzwerkteams, kleine Netzwerkteams oder klinikgebundene Teams) getroffen. Mit fünf Vertreter*innen von SAPV-Landesverbänden in Bundesländern, in denen keine SAPV-Teams zur Teilnahme an einer Online-Fokusgruppe rekrutiert werden konnten, wurden narrative Einzelinterviews geführt. Die Auswertung erfolgte induktiv mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Neben der Einschränkung ihrer eigenen Arbeit waren SAPV-Teams besonders durch Einschränkungen ihrer Netzwerkpartner beeinträchtigt.
- Die auf Teamarbeit ausgerichtete Palliativversorgung wird durch Kontaktbeschränkungen innerhalb des Teams, aber auch zu Patient*innen und Angehörigenerschwert.
- Die heterogene Struktur und Arbeitsweise der SAPV erschwert eine einheitliche Vorgehensweise.
- Der Zugang zu Ressourcen und die finanzielle Absicherung müssen gewährleistet sein.
- SAPV-Teams sind ein wichtiger Akteur bei der Versorgung von Patient*innen, für die eine ambulante Behandlung und Versorgung zu Zeiten der Pandemie am Ende des Lebens vom Patienten gewünscht oder medizinisch geboten ist.
Ergebnisse
Insgesamt konnte ein Kategoriensystem mit 7 Kategorien erarbeitet werden.
Als übergeordnete Kategorie mit einem Einfluss auf die weiteren Kategorien steht die Organisationsstruktur des jeweiligen SAPV-Teams, welche teils in Abhängigkeit vom Bundesland unterschiedlich ist. Die SAPV-Teams unterscheiden sich hierbei in der Zusammensetzung, der Finanzierung, der Trägerschaft und der Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen und regionalen Institutionen.
Beeinflusst wurde die Arbeit der SAPV-Teams durch das Informationsmanagement, welches vor allem zu Beginn der Pandemie von hoher Relevanz war. Die SAPV-Teams erhielten eine tägliche „Flut“ an Informationen, welche sortiert, bewertet, an die jeweilige Organisationsstruktur angepasst und an das Team/die Kooperationpartner*innen kommuniziert werden mussten. Die jeweiligen Landesverbände versuchten, die SAPV-Teams bei dieser Arbeit weitestgehend, bspw. durch Handlungsempfehlungen und den regelmäßigen Austausch, zu unterstützen:
Zitat: „gab neuere Informationen und dann hier wieder was und dort wieder was also es hat sich überschlagen und an manchen Stellen, gebe ich zu, hab ich eindeutig den Überblick auch verloren“ (FG IV, IP 5).
Die Teilnehmenden der Fokusgruppen berichteten zudem von einer Veränderung in der Versorgung. Zum Infektionsschutz wurden teaminterne Kontakte reduziert und sonst multiprofessionell zusammengesetzte Teams getrennt. Die Hausbesuche wurden auf ein Minimum reduziert und mit Schutzkleidung durchgeführt. Die Kontakte zu Patient*innen und Familien wurden überwiegend telefonisch gehalten. Aufgrund der Auslastung der Kooperationspartner*innen (Kliniken, Hausärzt*innen, Pflegeeinrichtungen) wurden Patientenübernahmen sowie Verlegungen erschwert.
Zitat: „[hat] dazu geführt, dass das Gefühl einer adäquaten SAPV nicht da war, weil man sich immer dreimal überlegt, ist der Hausbesuch jetzt notwendig“ (FG I, IP 5).
Zitat: „und man merkt, dass das natürlich auch mit den Patienten einiges gemacht hat, also die ganze Situation auch in den Familien, die waren auch alle komplett überfordert, wo sie sich auf uns auch immer verlassen konnten auf Hausbesuch, da waren die so n bisschen auf sich alleine gestellt“ (FG I, IP 4).
Die Veränderungen in der Versorgung hatten Auswirkungen auf die Team-Arbeit. Der Austausch im Team war durch die begrenzten Kontakte unzureichend, Besprechungen mussten als Video- oder Telefonkonferenzen stattfinden. Das Ausmaß der Infektionsschutzmaßnahmen musste diskutiert und teils durch die Teamleitung durchgesetzt werden. Supervisionen und Trauerbegleitungen waren erschwert.
Zitat: „wir haben das [Team] dann einmal in der Mitte durchtrennt so hat sich das tatsächlich auch angefühlt“ (FG II, IP 5).
Zitat: „dieses Diskutieren […] und dann als Leitung irgendwann auch mal zu sagen ist jetzt egal jeder findet das wird jetzt so gemacht, weil es die Regel ist hab ich nochmal gedacht fand ich eine Perspektive die ziemlich herausfordernd war“ (FG II, IP 2).
Das regionale Krisenmanagement wurde durch die Teilnehmenden der Fokusgruppen unterschiedlich wahrgenommen. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen SAPV-Teams wurden als förderlich erlebt. Die Rücksprachen mit Behörden sowie die Umsetzung in Pflegeeinrichtungen wurden kritisiert: Die Versorgung in Pflegeeinrichtungen wurde z.T. aufgrund von Besuchsstopps in den Einrichtungen nicht mehr geduldet. Ambulante Hospizdiente wurden ebenfalls weitestgehend aus der Versorgung ausgeschlossen. SAPV-Teams selbst sehen sich als wichtigen Akteur, der Patient*innen versorgen kann, für die aufgrund eingeschränkter Ressourcen oder individueller Präferenz keine intensivmedizinische Behandlung in Frage kommt. Im überregionalen Krisenmanagement konnten die Landesverbände die Kontakte zu Ministerien aufrechterhalten und als Vermittler*innen zwischen Politik und Versorgungspraxis dienen. SAPV-Teams wurden selten in politische Entscheidungsprozesse eingebunden.
Nahezu alle SAPV-Teams berichteten von einer finanziellen Belastung durch die Covid-19-Pandemie. Schutzausrüstung sowie Test-Möglichkeiten mussten organisiert und finanziert werden, während die Re-Finanzierung offenblieb. Teils konnten die Veränderungen in der Versorgung (Telefonkontakt anstelle von Hausbesuchen) nicht durch die Krankenkassen finanziert werden.
Schlussfolgerung
SAPV-Teams sollten im regionalen und überregionalen Krisenmanagement vertreten sein und mitgedacht werden. Die Versorgung von Schwerkranken und Sterbenden muss sichergestellt werden. Trauerbegleitungen sollten ermöglicht werden.
Verantwortliche
Universitätsmedizin Göttingen | Prof. Dr. Friedemann
Nauck, Maximiliane Jansky, Franziska Schade, Danica Lohrmann,
Nicola Rieder
Ethikvotum
Die Zustimmung der Ethik erfolgte an der Universitätsmedizin Göttingen (16-8-20 COVID-19).
Deutschlandweite Online-Befragung von Hausärzt*innen zu ihren Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze in der Betreuung schwerkranker und sterbender Patient*innen (mit/ohne COVID-19) und ihrer Angehörigen in der ersten pandemischen Hochphase 2020
Ziel der Studie
Beschreibung der Erfahrungen und Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie auf und für die Arbeit von SAPV-Teams und Identifizierung von Maßnahmen und Lösungsansätzen zur Aufrechterhaltung der Versorgung unter Pandemiebedingungen.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Leitungspersonen (Koordinator*in, ärztliche oder pflegerische Leitung) der SAPV und des Palliativmedizinischen Konsiliardienstes (PKD). Im Folgenden wird zusammenfassend von SAPV-Team gesprochen.
Methodik
Auf der Grundlage der im Teilprojekt der Universitätsklinik Göttingen durchgeführten 4 Fokusgruppeninterviews wurde ein Onlinefragebogen entwickelt, der sowohl skalierte Einschätzungsfragen als auch Freitextfelder enthielt. Die Befragung erfolgte über LimeSurvey®. Eine bundesweite Rekrutierung aller SAPV-Teams (n=357) wurde durchgeführt (DRKS00025090). Die Basis bildete der Wegweiser Hospizund Palliativversorgung mit 311 SAPV- bzw. PKD- Teams. Dieser wurde mit Kontakten des „Home Care Berlin e. V.“ ergänzt.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Die Versorgungsstrukturen des Gesundheitswesens bedingen sich gegenseitig. Wenn Krankenhäuser ihre Versorgung auf die Pandemie einstellen und Patient*innen z.B. früher aus dem Krankenhaus entlassen, dann gewinnt die ambulante palliative Versorgung an Bedeutung.
- Die Kooperation mit externen Versorger*innen war schwieriger als vor der Pandemie. Vor allem die Kooperation mit Pflegeheimen war bedeutend beeinträchtigt.
- Organisatorische Probleme z. B. bei der Beschaffung von Schutzkleidung konnten im Verlauf der Pandemie gelöst werden. Angehörige erleben in ihrer Rolle als Versorgende ein besonderes Maß an Belastung.
- Die Beschaffung von aktuellen Informationen mit Relevanz für die Palliativversorgung war eine wichtige zeitaufwendige neue Aufgabe. Hierbei können regionale und bundesweite Vertretungen und Verbände wesentliche Unterstützung leisten.
- Eine psychosoziale Unterstützung der stark geforderten Mitarbeiter*innen wurde nur
eingeschränkt umgesetzt.
Ergebnisse
Die Onlinebefragung fand vom 10.10.2020 bis zum 07.01.2021 statt. Es nahmen 154 SAPV-Teams aus allen KV-Bezirken Deutschlands teil (Rücklaufquote 43%). 55,4% der Teams hatten Patient*innen mit SARS-CoV-2 Infektionen betreut. Davon in der überwiegenden Anzahl zu Hause (83,1 %). In 32,9% der Fälle war die SARS-CoV-2 Infektion der Grund für die palliative Versorgung. Laut Einschätzung der SAPV-Teams waren die Patientenzahlen während der gesamten COVID-19-Pandemie in der SAPV minimal angestiegen (mindestens leicht angestiegen bei 39,9% der Teams). Die häufigsten Gründe hierfür waren „Patient*innen wollen nicht ins Krankenhaus“ (84%), „Frühere Entlassung von Patient*innen aus Krankenhäusern“ (51,9%) aber auch „Mangelnde Erreichbarkeit anderer Versorgenden/innen (u. a. hausärztliche oder fachärztliche Versorgung)“
(54,7%). 85,4% der SAPV-Teams gaben an mittlere bis sehr große Veränderungen im Arbeitsalltag durch die COVID-19-Pandemie zu haben. Bei der Umgestaltung des Arbeitsalltags war „Kreativität und Umdenken erforderlich“ (ID14). Vor allem durch die Vermeidung von teaminternen Kontakten wurden bei 58,2% der Teams große bis sehr große Beeinträchtigung angegeben. Außerdem führten bei 61,9% der Teams Besuchseinschränkungen/-verbote von Hospizdiensten/Ehrenamtlichen zu großen und sehr großen Beeinträchtigungen. Der Arbeitsalltag war vermehrt gekennzeichnet durch
telefonische Beratungen mit Patient*innen und Angehörigen sowie mit Versorger*innen („mehr geworden“ bei 63,8 % der SAPV-Team).
60,2% der SAPV Teams hatten keine oder wenige Probleme, die Patientenversorgung während der COVID-19-Pandemie sicherzustellen. Knapp 12,6% der teilnehmenden SAPVTeams gaben jedoch an starke bis sehr starke Probleme dahingehend zu haben. Probleme wurden vor allem durch
die fehlende bzw. unzureichende Schutzkleidung aber auch durch Personalmangel (Quarantäne, eigene Erkrankung, Belastung durch z. B: „Kinderbetreuung“, „gesamtes Team in Quarantäne“ (ID87)) hervorgerufen. Außerdem gab es im häuslichen Bereich Probleme „die vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandhaltungen zu waren.“ (ID14). 16,9% der SAPV-Teams gab an, dass sie durch die unterschiedlichen Regelungen (z. B. von Trägern, Landkreisen, Kooperationspartnern) ihre Kerntätigkeiten schwerer ausführen konnten.
Als problematisch wurde die Versorgung der Patient*innen in Pflegeheimen hervorgehoben. Es wurde angegeben, dass im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie die Kooperation mit Pflegeheimen im März/April schwieriger war als gewohnt (79,4% der SAPV-Teams) und dass diese Schwierigkeiten bei 52,8% der SAPV-Teams auch zum Teilnahmezeitpunkt (Oktober 2020-Januar 2021) noch bestanden. Dabei wurden vor allem die unterschiedlichen Regelungen bzgl. des Zugangs ins Pflegeheim betont (ID58, ID53).
74,7% der SAPV-Teams gaben an gut auf eine erneute Verschärfung der Situation/auf eine „zweite Welle“ vorbereitet zu sein. Sie waren routinierter und hatten einen weniger angstbelasteten Umgang mit der Pandemie (ID77). Sowohl bei der Beschaffung von Schutzausrüstung (stark bis sehr starke Probleme im März/April 55,7% und zum Teilnahmezeitpunkt 3,5%) als auch bei deren Finanzierung
(stark bis sehr starke Probleme im März/April 27,7% und zum Teilnahmezeitpunkt 16,8%) hatten sich die Schwierigkeiten reduziert. Die Vernetzung der SAPV-Teams und die Kooperation mit den SAPV-Landesverbänden waren eine große Ressource zur Bewältigung der Herausforderungen. 75,9% der SAPV-Teams gab an, dass die Kooperation mit den SAPV-Landesverbänden gewinnbringend war. Dabei wurden die Landesverbände neben dem RKI als wichtige Quelle zur Informationsbeschaffung eingeschätzt (SAPV-Landesverband 61,4% und RKI 87,1% der SAPV Teams).
Es wurden Lösungsansätze zur Vorbereitung auf zukünftige Pandemien bezüglich ihrer Nützlichkeit von den SAPV-Teams eingeschätzt. Dabei zeigte sich, dass die Erstellung bzw. die Überarbeitung eines Hygieneplans („Haben wir umgesetzt“= 91,9%) von den meisten SAPV-Teams umgesetzt
wurde. Außerdem wurden sowohl Konzepte für die Beschaffung von Medikamenten und Schutzkleidung („Haben wir umgesetzt“=88,4%) als auch die Schulung bezüglich Infektionsschutz-
und Hygienemaßnahmen („Haben wir umgesetzt“= 81%) am häufigsten realisiert. Im Bereich Kooperation zwischen den SAPV-Teams („Finden wir sinnvoll, wurde aber nicht umgesetzt“=34,8%), als auch bei in der psychosozialen Unterstützung der SAPV-Mitarbeiter*innen (Finden wir sinnvoll, wurde aber nicht umgesetzt“=41,2%), bestand das größte Umsetzungspotential.
Schlussfolgerung
Es bestanden deutliche Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Tätigkeit der SAPV-Teams. Die Teams unterschieden zwischen den Herausforderungen für die Patientenversorgung,
für die Arbeit im Team und in der Arbeit mit Externen. Trotz der pandemiebedingten Herausforderungen war die Patient*innenversorgung durch die SAPV-Teams zu großen Teilen sichergestellt.
Verantwortliche
Universitätsklinikum Jena | PD Dr. Ulrich Wedding, Cordula
Gebel, Lars Kloppenburg
Ethikvotum
Ein positives Votum der Ethikkommission des Universitätsklinikums Jena (Ethiknummer: 2020-1848-Bef) ist vorliegend.
„Beziehungsarbeit (…) mit Abstand zu leisten“ – Erfahrungen von Koordinator*innen ambulanter Hospizdienste während der COVID-19-Pandemie. Eine qualitative Erhebung.
Ziel der Studie
Erfahrungen der Koordinator*innen ambulanter Hospizdienste seit Beginn der COVID-19-Pandemie abbilden
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Koordinator*innen ambulanter Hospizdienste
Methodik
Fünf qualitative Experteninterviews mit Koordinator*innen ambulanter Hospizdienste (mit unterschiedlicher Größe, mit Trägern und ausschließlich ehrenamtlich organisiert/koordiniert) aus drei Bundesländern (Hessen, Niedersachsen, Thüringen) wurden durchgeführt. Auswertung in Anlehnung an Meuser und Nagel.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Auch in der Pandemie sollte die Arbeit von ambulanten Hospizdiensten als integraler Teil der Hospiz- und Palliativversorgung gewürdigt und ihre Systemrelevanz festgelegt werden.
- Die Arbeit von AHDs sollte unter Pandemiebedingungen ermöglicht werden.
- Hospizdienste benötigen Unterstützung bei der Ressourcenmobilisierung (Räume, Digitalisierung).
- Die finanzielle Förderung muss sichergestellt werden.
- Lokale Vernetzung der ambulanten Hospizdienste und anderer Versorger kann die Begleitung verbessern und sollte gefördert werden.
Ergebnisse
Allen Interviews gemein ist das Aufgreifen der Prozesshaftigkeit der COVID-19-Pandemie in der Narration, auf die die Koordinator*innen reagieren mussten (Beginn der Pandemie, Lockdown, Lockerungen, „Lockdown-light“, Zeitpunkt der Interviews).
Der Beginn der Pandemie und der kommende Lockdown führten zu einer Absage aller Veranstaltungen (intern u.a. Gruppenabende, Supervisionen, Ausbildung neuer Ehrenamtlicher; extern u.a. Öffentlichkeitsarbeit, Spendenakquirierung, Trauerangebote), Beratungen und Erstkontakte, sowie der Einstellung ehrenamtlicher Begleitungen (in Krankenhaus, Pflegeheim, z.T. bei Betroffenen zu Hause), was z.T. zum Kontaktabbruch zu den Einrichtungen führte.
Der telefonische Kontakt zu Ehrenamtlichen, um die Nähe nicht zu verlieren, führte zu einem großen Aufwand. „(…) und wir hatten ganz ganz viele Anrufe von den Ehrenamtlichen, was denn los ist, ob wir jetzt dürfen oder nicht , weiter begleiten dürfen oder nicht , also alle waren eigentlich in heller Aufregung (…)“ (Koordinatorin 3, 1/28-30).
Die Interviewpartner*innen erlebten erhebliche Belastung unter anderem auf Grund der Verantwortung für das Team der Ehrenamtlichen, des steigenden Kommunikationsaufwands,
des Ausbleibens von Begleitungen (als Förderungsgrundlage), der ungeklärten Förderung, dem Ausbleiben von Spenden, der eingebrochenen Öffentlichkeitsarbeit, Konflikten im Koordinationsteam hinsichtlich Priorisierung der Aufgaben und Öffnung des ambulanten Hospizdienstes. „(…) also was das war einfach wahnsinnig anstrengend, also was ich interessant fand, war, dass ich nach diesen Arbeitstagen total kaputt war, viel kaputter als sonst und das Gefühl hatte, dass ich eigentlich nichts gemacht hatte außer zu reden und Mails zu schreiben und zu lesen (…)“ (Koordinatorin 1, 3/14-17). Ehrenamtliche wurden durch Koordinator*innen aufgefangen, die die psychischen Belastungen und fehlenden psychologischen Angebote während des Lockdowns kompensierten. Ehrenamtliche vernetzten sich untereinander und übernahmen
vereinzelt Einkäufe für ältere Ehrenamtliche.
Früh wurde kommuniziert, dass die Begleitung Sterbender trotz Einschränkung des öffentlichen Lebens „erlaubt“ ist, doch gestaltete sich der Zugang insbesondere zu Krankenhäusern und Pflegeheimen als schwierig, bzw. als nicht möglich. Koordinator*innen boten an, selbst Sterbende zu begleiten, doch ihre Besuche gingen vereinzelt zu Lasten der Besuche der Angehörigen, wenn sie denn erlaubt waren. Es entstanden Begleitungen von Angehörigen, die sterbende Patient*innen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen nicht oder nur selten besuchen durften.
Während der Lockerungen wurde beobachtet, dass sich die medizinische Versorgung von zu Begleitenden zum Teil verschlechtert hat. Der Zugang zu Institutionen gestaltete sich sehr unterschiedlich, zum Teil ist weiterhin der Kontakt abgebrochen. Die Legitimation von ehrenamtlichen Begleitungen gestaltet sich weiterhin schwierig.
Die Koordinator*innen sind sehr kreativ geworden, um unter Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie Kontakt zu den Ehrenamtlichen, zu Bewohner* innen in Pflegeheimen und in die lokale Bevölkerung zu halten. Beispielhaft kann genannt werden, dass Briefe für Information und Zuversicht sowohl an Ehrenamtliche als auch an hospizlich begleitete Menschen verschickt wurden, zudem wurden Orte im Freien etabliert an denen niederschwellig ein Treffen und ein Gespräch mit Ehrenamtlichen stattfinden kann. Auch wurde immer wieder der Kontakt zu Pflegeheimen, insbesondere zu an Demenz Erkrankten aufgenommen, beispielsweise mit laminierten Bildern von Bedeutung für die begleiteten Menschen.
Der Fokus in den Aufgaben der Koordinator*innen verschob sich auf die Beschaffung von Ressourcen (digitale Ausstattung, Schutzmaterialien). Außerdem wurden Hygienekonzepte entwickelt, soweit möglich größere Räumlichkeiten organisiert und die Gruppe an Ehrenamtlichen geteilt, um Veranstaltungen (Gruppenabende, Supervisionen) wieder anzubieten. Zum Teil besteht ein Austausch zum Gesundheitsamt, bzw. Ordnungsamt.
Träger stellten die Ressourcen, wie Schutzmaterialien oder Räumlichkeiten teilweise zur Verfügung und fungierten als finanzielle Absicherung, bis die ungeklärte Förderungssituation durch Verhandlungen des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands aufgelöst werden konnte. Darüber hinaus boten Landesverbände Unterstützung in Form von Informationen, Austauschmöglichkeiten und virtuellen Fortbildungen an. Wünsche der Koordinator*innen sind u.a. eine Würdigung der Arbeit des ambulanten Hospizdienstes und ein allgemeines (Hygiene-)Konzept, welches die Fortführung der Aufgaben des ambulanten Hospizdienstes (AHD) unter Einhaltung der Maßnahmen ermöglicht. Dieses sollte ermöglichen, Risikogruppen und auch Sterbende, die an COVID-19 erkrankt sind, sicher zu begleiten. „(…) und im Laufe der Zeit ist mir klar geworden, dass das, was wir machen, was unsere Arbeit ist, die Hospizarbeit, ist im wesentlichen Beziehungsarbeit und das mit, in dieser Weise in nem Abstand zu leisten und aufrecht zu erhalten ne wahnsinns Anstrengung ist so (…)“ (Koordinatorin 1, 3/18-21). Bemerkenswert ist die strukturelle Vielfalt der AHDs: z.T. mit Trägern und verknüpft mit dem DHPV, z.T. ehrenamtlich organisierte und koordinierte Vereine.
Schlussfolgerung
Aus Sicht der Koordinator*innen war insbesondere zu Beginn die Unsicherheit, die Belastung und Anstrengung prägend. Das Koordinationsteam an sich, die Unterstützung (u.a. von außen) und vor allem Würdigung der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Arbeit ist wesentlich. Es mussten Ressourcen mobilisiert werden, um Beziehungsarbeit auf vielen Ebenen und über eine Distanz hinweg leisten zu können. Vielfach bestand der Wunsch nach finanzieller Sicherheit und der Ermöglichung ihrer Arbeit unter Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Verantwortliche
Universitätsmedizin Göttingen | Prof. Dr. Friedemann Nauck, Maximiliane Jansky, Franziska Schade, Danica Lohrmann, Nicola Rieder
Ethikvotum
Die Studie hat ein Votum der Ethikkomitees der Universitätsklinik
Jena (2020-1848-Bef) und der Universitätsmedizin
Göttingen (16-8-20 COVID-19) erhalten.
Erfahrungen, Herausforderungen und potenzielle Lösungsansätze der allgemeinen stationären Palliativversorgung während der SARS-CoV-2 Pandemie
Ziel der Studie
Ziel der Studie ist die Beschreibung von Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätzen für die Betreuung schwerkranker und sterbender Patient*innen (mit/ ohne SARS-CoV-2) und deren Angehörigen in der allgemeinen stationären Palliativversorgung (APV).
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Die Studienteilnehmer*innen waren in der allgemeinen, stationären Palliativversorgung tätig. Es wurden Ärzt*innen, Pflegende und weitere betreuende Berufsgruppen befragt.
Methodik
Für die qualitative Erhebung wurden halbstrukturierte online Fokusgruppeninterviews geführt. Einzelinterviews wurden nur wenn nötig in Ergänzung geführt. Die Ergebnisse wurden aufgezeichnet, transkribiert und mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Schwerkranke und sterbende Patient*innen (mit/ ohne SARS-CoV-2) müssen auch in Pandemiezeiten gut versorgt werden, sowie der Patientenwille miteinbezogen werden.
- Besuche von Angehörigen müssen auch in Pandemiezeiten weiterhin möglich sein.
- Niemand soll allein versterben müssen.
- Die Kommunikation zwischen allen Beteiligten sollte z.B. unter Zuhilfenahme von (Video-) Telefonie bestmöglich aufrecht erhalten bleiben.
- Schutzausrüstung muss in ausreichender Menge vorhanden – und die Hygienemaßnahmen müssen transparent für alle Beteiligten sein.
Ergebnisse
Von 81 kontaktierten potenziellen Teilnehmer*innen aus der allgemeinen stationären Palliativversorgung haben 31 Personen an insgesamt 5 Fokusgruppen mit je 4-8 multiprofessionellen Teilnehmer*innen sowie einem ergänzenden Einzelinterview teilgenommen. Aus dem Datenmaterial konnten 15 Hauptkategorien mit je 2-8 Subkategorien gebildet werden. Aus diesen Kategorien stellten sich anhand der Häufigkeit und der durch die Teilnehmer*innen betonten Wichtigkeit sechs Schwerpunkte als zentrale Aspekte heraus. Diese sechs Schwerpunkte sind:
• Besuchsregelungen
• Angehörigenkommunikation
• Hygienemaßnahmen
• Interdisziplinäre & interprofessionelle Zusammenarbeit
• Festlegung Patientenwille
• Möglichkeit des Abschiednehmens
Besuchsregelungen stellten in allen Fokusgruppen einen zentralen Aspekt dar, welcher überwiegend als Herausforderung zu Beginn der Pandemie benannt wurde. Verbote und Einschränkungen wurden an den meisten Kliniken nur in der Sterbephase ausgesetzt. Nachdem die erste Welle langsam abflachte, konnten Besuche unter Auflagen zwar vermehrt ermöglicht werden, es reichte jedoch immer noch nicht aus, um Bedürfnisse und Bedarfe zu erfüllen.
Die Kommunikation mit Angehörigen unterlag ebenfalls großen Veränderungen und die (Video-)Telefonie wurde als Alternative herangezogen. Trotz aller Anstrengungen führte die Umstellung zu einer Mehrbelastung für Personal und Angehörige. Ein Kommunikationsverzicht war keine Option, weil es ohne Kontakt für Angehörige nur schwer nachvollziehbar war, wie sich der Krankheitsverlauf entwickelt. „Und es FEHLT den Angehörigen ganz einfach, initial, dass
die gar nicht kommen konnten, und auch jetzt der visuelle Eindruck, der entsteht in der Intensivmedizin, was das denn heißt, dass da jemand so kritisch krank ist und dass der
lange da ist.“
Die erlassenen Hygienevorschriften führten an den Kliniken zu veränderten Abläufen und mehr Arbeitsaufwand. Des Weiteren brachten die Maßnahmen einige Schwierigkeiten mit sich, da die Situation für Patient*innen, Angehörige aber auch für das Personal neu war. Veränderte Abläufe, Distanz und eingeschränkte non-verbale Kommunikation aufgrund der Schutzausrüstung stellen dabei die größten Herausforderungen dar.
Die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen, der Fachdisziplinen, aber auch verschiedener Kliniken wurde von vielen Teilnehmer*innen als besonders positiv benannt. Vor allem die Unterstützung der spezialisierten Palliativmedizin (SPV) empfanden viele Teilnehmer*innen als hilfreich und andere wünschten sich ausdrücklich eine solche Zusammenarbeit
auch in der Zukunft.
Durch Unsicherheit und knappe Ressourcen kam dem Aspekt der eventuellen Limitierung von Therapien eine große Bedeutung zu. Dies stellte sich in den verschiedenen Standorten jedoch recht unterschiedlich dar. Wo mancherorts eine besonders ausgiebige Diskussion über Therapieziele und -limitierung stattfand, gab es anderenorts ein Abwarten des Krankheitsverlaufes bevor nach Vorsorgeinstrumenten gefragt wurde.
„Die warten erstmal ab, bis es wirklich schlimmer wird und dann fragen die nach einer Patientenverfügung, was auch gerade auf der [..] Onkologie manchmal schwierig für uns ist.“
Die Möglichkeit Abschied zu nehmen war ein weiterer zentraler Punkt, welcher von allen Fokusgruppen adressiert wurde. Durch die geltenden Besuchsverbote war vor allem zu Beginn der Pandemie ein Abschied von SARS-CoV-2 infizierten Patient*innen oft nicht möglich. „Also wenn COVID-Patienten verstorben sind, konnten Angehörige leider nicht dazu. Sie sind dann alleine in diesem Zimmer verstorben, gepflegt durch uns.“
Dieser Zustand herrscht vereinzelt immer noch an Kliniken. Andere Häuser haben Alternativen implementiert, wie beispielweise das Verabschieden des/ der Verstorbenen in einem Aufbahrungsraum oder das Erstellen von Fotos des oder der Verstorbenen für die Angehörigen.
Schlussfolgerung
Die Pandemie hat nicht nur die Schwächen des Gesundheitssystems nachdrücklich aufgezeigt, sondern auch die Wichtigkeit von individuell angemessener Behandlung am Lebensende deutlich untermauert. Die Notwendigkeit einer guten allgemeinen, stationären Palliativversorgung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Die SPV kann auf vielerlei Weise helfen, die APV zu unterstützen und diese vor allem im Umgang mit Schwerkranken, Sterbenden und deren Angehörigen schulen.
Verantwortliche
UK Düsseldorf | Marie Christine Reuters, Manuela Schallenburger, Dr. Jaqueline Schwartz, Dr. Martin Neukirchen
UK Würzburg | Liane Werner, Anke Ziegaus, Teresa Zetzl, Marius Fischer, Dr. Carmen Roch, Prof. Dr. Birgitt van Oorschot
Ethikvotum
Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Heinrich-
Heine-Universität liegt vor. (Studien-Nummer 2020-1119)
Online-Befragung von patientennah tätigen KrankenhausmitarbeiterInnen der allgemeinen stationären Palliativversorgung (ASPV) zur Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden während der ersten SARS-CoV-2 pandemischen Hochphase
Ziel der Studie
Identifikation von Belastungen, Herausforderungen und Lösungsansätzen in der stationären allgemeinen Palliativversorgung. Fokussiert wurde auf Unterschiede zwischen Mitarbeitern, in deren Tätigkeitsbereich mehr schwerkranke und sterbende Menschen (Gruppe M) zu versorgen waren als in Vor-Pandemie-Zeiten, und den übrigen Befragten (Gruppe Ü). Abgefragt wurden Mitarbeiterbelastungen, die Versorgung schwerkranker und sterbender Menschen, die Zusammenarbeit mit der spezialisierten Palliativversorgung, sowie die Wichtigkeit von Maßnahmen und Vorschläge für ein antizipiertes Worst-Case-Szenario.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Zielgruppe waren Krankenhausmitarbeiter*innen, die außerhalb von Palliativstationen in der allgemeinen palliativen Versorgung tätig sind. Es wurden Ärzt*innen, Pflegende und weitere Berufsgruppen befragt.
Methodik
Die quantitative Untersuchung stützte sich auf einen Fragebogen, der auf der Basis der Literatur (Ebola-Pandemie) und ersten Ergebnissen der Fokusgruppen entworfen wurde. Über die Plattform UniPark wurde dieser an die Teilnehmer* innen, die nach den Inzidenzen in der ersten pandemischen Hochphase gewichtet ausgewählt wurden, verschickt (n=10.357). Diese hatten zwei Monate Zeit an der Umfrage teilzunehmen, wobei es zwei Erinnerungsmails gab. Die erhobenen
Daten wurden mit SPSS Statistics V26 analysiert.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- In Krankenhäuser mit mehr schwerkranken und sterbenden Menschen gab es häufiger Einschränkungen der Versorgungsqualität als in den übrigen Einrichtungen, Abwägungen zwischen Infektionsschutz und den Anliegen von schwerkranken, sterbenden Menschen sowie von Angehörigen waren häufiger und die Mitarbeiterbelastung war höher.
- Während die meisten bereits etablierten Angebote und Strukturen zur Versorgung von schwerkranken, sterbenden Menschen und Angehörigen aufrechterhalten werden konnten, reichten die Kapazitäten in der Hochphase der Pandemie nicht aus, in den Einrichtungen mit Nachbesserungsbedarf für die Versorgung dieser Zielgruppe Angebote und Strukturen neu zu etablieren.
- Fast alle Befragten berichteten über Ausnahmeregelungen für Besuche bei sterbenden Menschen.
- Insbesondere digitale Angebote zur Unterstützung der Patienten-Angehörigen-Kommunikation und zur palliativmedizinischen Mitbetreuung sind noch zu wenig etabliert und sollten unbedingt ausgebaut werden.
- Die Rekrutierung von weiterem, medizinisch-geschultem Personal wurde von den meisten Befragten als hilfreiche Maßnahme in einem antizipierten pandemischen Worst-Case-Szenario angesehen.
Ergebnisse
Zunächst wurden Veränderungen in der Belegung, eine mögliche Änderung der Versorgungsqualität Abwägungen und Mitarbeiterbelastungen abgefragt. Befragte, in deren Einrichtungen die Belegung zunahm, mehr schwerkranke und sterbende Menschen versorgt wurden, berichteten signifikant häufiger auch über eine Zunahme der zu versorgenden schwerkranken und sterbenden Menschen (p<.001). Darüber hinaus gaben die Befragten aus Gruppe M an, dass sich die Versorgungsqualität verschlechtert hat (p=.008). Diese Befragtengruppe berichtete signifikant häufiger über Abwägungen, die den Infektionsschutz und (1) die Lebensqualität (p<.001), (2) die Sterbequalität (p<.001) und (3) die Angehörigenbedürfnisse (p=.031) betrafen. Signifikant häufiger wurde bei den Mitarbeiterbelastungen von dieser Befragtengruppe über psychische Belastung der Schwerkranken und Sterbenden‘ (p=.004), eine ‚erhöhten Arbeitsbelastung‘ (p<.001) und Belastung durch den‚ erschwerten / unmöglichen Abschied am Sterbe- / Totenbett‘ (p=.009) berichtet. Das ‚Einhalten der Abstandsregeln‘ wurde von Gruppe Ü häufiger als belastender empfunden (p=.008).
96,9% aller Befragten gaben an, dass Ausnahmeregelungen für Besuche möglich waren. Auch der Schutz der Privatsphäre und ein Einzelzimmer in der Sterbephase waren bei beiden Gruppen meist möglich. Lediglich das Rooming-in von Angehörigen war in beiden Gruppen bei der Hälfte nicht möglich, da es entweder ausgesetzt wurde (32,7%) oder bereits zuvor nicht möglich war (21,3%). Auffallend war, dass nur die Hälfte der Krankenhäuser über Internet verfügt (50,5%) und auch Angebote wie Tablets oder Videokonferenzen nicht verfügbar waren. Im Vergleich der beiden Befragtengruppen fanden sich keine signifikanten Unterschiede.
65,8% aller Befragten gaben an, dass die Zusammenarbeit mit der spezialisierten Palliativversorgung (SPV) unverändert zu vor-pandemischen Zeiten bestand. 26 Befragte berichteten, dass die vorbestehende Zusammenarbeit ausgesetzt wurde (5,6%) und bei weiteren 27,3% (n=126) gab es diese Zusammenarbeit bereits vor der Pandemie nicht. In 1,3% (n=6) der Fälle wurde eine Zusammenarbeit neu eingerichtet. Bezogen auf die Art des Einbezugs der SPV fanden sich zwischen Gruppe M und Gruppe Ü signifikante Unterschiede. Eine Mitbetreuung am Patientenbett war bei den Krankenhäusern mit mehr schwerkranken und sterbenden Menschen öfter möglich (p=.007), analoges gilt für eine Mitbetreuung über das Telefon oder Video (p=.023). Dahingegen berichteten Befragte aus Gruppe Ü signifikant häufiger, dass eine Verlegung auf eine Palliativstation möglich war (p=.025). Diese Befragtengruppe wünschte sich auch häufiger weitere Angebote der SPV (p=.037), was in beiden Gruppen 83,6% (n=356) der Befragten taten. Diese Angebote beinhalteten am häufigsten ‚leicht zugängliche Informationen‘ und ‚Fortbildungen‘. Videovisiten wurden signifikant häufiger von Gruppe M gewünscht (p=.045).
Besonders wichtig war für viele der Befragten die Maßnahmen Angehörigenbesuche (99,8%), Abschiednehmen von Verstorbenen (98,6%), Entlastung der Mitarbeiter*innen (87,9%), Begleitung von sozial isolierten Sterbenden durch Ehrenamtliche (84,4%), Therapeutenkontakt (82,2%) sowie die Schulung zum Umgang mit Sterbenden (81,1%). Zum Schluss wurden die Teilnehmenden noch gefragt, welche Maßnahmen im Worst-Case-Szenario einer Pandemie hilfreich wären. Besonders die Rekrutierung von geschultem Personal wird dabei als hilfreich angesehen (89,9%). Auch
der Einbezug weiterer Stationen wurde von über der Hälfte als hilfreich bewertet (60,8%). Im Bereich ‚Schriftliche Handlungsanweisungen‘ wiesen beide Gruppen Unterschiede auf (p=.042). Während bei der Gruppe mit mehr Sterbenden 55,3% der Befragten die Maßnahme als hilfreich bewerteten, war das bei Gruppe Ü 47,2% der Befragten.
Schlussfolgerung
Die Versorgung von schwerkranken und sterbenden Menschen war in Krankenhäusern deutlich erschwert. Einrichtungen, die bereits vor der Pandemie eine hohe Versorgungsqualität aufwiesen, konnten diese zumeist auch aufrechterhalten. Die Belastung der Mitarbeiter*innen durch die Diskrepanz zwischen Selbstanspruch und Alltagswirklichkeit ist nicht zu unterschätzen. Besonders die Krankenhäuser mit mehr schwerkranken und sterbenden Menschen wünschen sich eine Ausweitung – auch digital-gestützter- palliativmedizinischer Angebote.
Verantwortliche
Universitätsklinik Würzburg | Liane Werner, Anke Ziegaus, Marius Fischer, Teresa Zetzl, Dr. Carmen Roch, Prof. Dr. Birgitt van Oorschot
Universitätsklinik Düsseldorf | Marie Christine Reuters, Manuela Schallenburger, Dr. Jaqueline Schwartz, Dr. Martin Neukirchen
Ethikvotum
Von Seiten der Ethik-Kommission der Universität Würzburg gab es keine Einwände gegen die Erhebung und Auswertung der Daten (Aktenzeichen 2020071503).
Umfrage unter spezialisierten stationären Einrichtungen der Palliativversorgung (SSPV) – Eine quantitative Erhebung
Ziel der Studie
Exploration der Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze der SSPV zur Aufrechterhaltung der Palliativversorgung in Pandemiezeiten
Studienteilnehmer
Palliativstationen (n=304), Palliativdienste (n=62) und stationäre Hospize (n=223)
Methodik
Deutschlandweite quantitative Online-Erhebung unter den im Wegweiser (www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de) selbsterfassten spezialisierten stationären Einrichtungen bzw. Dienste der Palliativversorgung. Um die Anonymität zu wahren,übernahm die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin die Einladung per E-Mail.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- standardmäßige Einbindung der palliativmedizinischen Versorgung bei schweren Verlaufsfällen
- angemessene Besuchsregelungen für Schwerstkranke und Sterbende mit/ohne COVID-19
- Zugang sowie Hygienekonzepte für Zugehörige mit/ohne COVID-19
- regelmäßige Testungen aller (Patient*innen, Zugehörige und Gesundheitspersonal)
- Einführung von teamstärkenden Maßnahmen, Informationen und Schulungen.
Ergebnisse
Die Umfrage zu „Arbeitsweisen, Herausforderungen und Lösungsansätzen in Pandemiezeiten“ wurde im Zeitraum von 02.02. bis 18.02.2021 durchgeführt. An der Umfrage haben insgesamt 37% (bereinigtes n=216) der SSPV aus allen Bundesländern teilgenommen; Palliativstationen (n=102), Palliativdienste (n=28) und stationäre Hospize (n=86). Die meisten Antworten kamen aus Nordrhein-Westfalen (n=41), gefolgt von Bayern (n=20), Baden-Württemberg (n=17) und Hessen (n=13). Im Durchschnitt verfügen die SSPV Einrichtungen eine Aufnahmekapazität von 10 Betten (+/- 3 Betten). Ein Großteil der teilnehmenden stationären Einrichtungen (ca. 70%) richtete eine Quarantäne- und/oder Isolationsstation für Infizierte während des 1. Lockdowns (Mär.-Apr. 20, LD) ein. Keinen getrennten COVID-19-Bereich wiesen 81% der stationären Hospize auch zum 2. LD (Nov.-Feb. 20/21) auf. Zu beiden LD-Zeiten hatten 41% der Palliativstationen und stationären Hospize (erheblich) weniger und 50% eine unveränderte Anzahl an Aufnahmen. Die Aufnahmen wurden bei 79% bzw. 59% der Palliativstationen/Palliativdienste zum 1. bzw. 2. LD reduziert. Weitere 12% hatten einen Aufnahmestopp während des 2. LDs und bei 21% traf keins von beidem zu. Von den stationären Hospizen reduzierten oder stoppten ca. 70% die Aufnahmen während des 1. bzw. 2 LDs nicht. Insgesamt berichten 55% der SSPV, (erheblich) weniger Einnahmen zu haben (LD1: 48%). Zum 1. LD-Zeitpunkt hatte eine Mehrzahl keine SARS-CoV-2 Infizierten oder Verdachtsfälle (66% der Palliativstationen und 76% der stationären Hospize). Jedoch kommen während des 2. LDs Palliativstationen (1. LD: 10% vs. 2. LD: 41%) und stationäre Hospize (1. LD: 9%, 2. LD: 35%) zunehmend mit SARS-CoV-2 Infizierten in Kon¬takt. Positiv getestete Gäste blieben bei 90% der stationären Hospize im Haus und 10% wur¬den in ein Kran¬kenhaus mit einem COVID-Bereich verlegt. In der Regel wurden SARS-CoV-2 Infizierten der Palliativstationen in den COVID-19 Bereich ver¬legt (2. LD: 78%), wenige Patient*innen mit einem positiven Testergebnis verblieben auf der Palliativstation. Über die palliativmedizinische Versorgungsqualität bei Patient*innen mit einer schweren COVID-19-In¬fektion antworteten 40% der Palliativstationen/Palliativdienste, diese sei „(sehr) schlecht“, 44% „(sehr) gut“ und 16% „weiß nicht“. Folgende offene Antworteingabe verweist auf die Unterversorgung von Patient*innen: „Viele Covid-Patienten bedürfen aufgrund der Symptomlast (Orthopnoe, Angst, Einsamkeit) einer palliativen Betreuung (…). Es wäre sinnvoll eine Palliativstation für Covid-Patienten, die betagt sind und nicht invasiv beatmet werden wollen, einzurichten.“ (PallPan-SSPV-21-offene-Antwort) Für den Zeitpunkt des 2. LDs berichten mehr Befragte eine leicht verbesserte palliativmedizinische Versorgung bei schweren COVID-19-Krankheits¬ver¬läufen (2. LD: 57% gut bzw. sehr gut). Gut läuft es, wenn es zu kollegialem Austausch, Beratung und Schulung zwischen den Stationen kommt. Testungen vor Aufnahme als ein Element zur Eindämmung von Covid-19 erfuhr bei Palliativstationen einen 95%igen (1. LD: 34%, 2. LDs 67%) und bei stationären Hospizen einen 39%igen (1. LD: 64%, 2. LDs 89%) Anstieg. Regelmäßige oder erneute Testungen während des Aufenthalts im 2. LD wurden von 45% der SSPV durchgeführt und weitere 38% testeten beim Auftreten von Symptomen; ca.17% hatten gar keine weiteren bzw. regelmäßigen Tests. Während die Palliativstationen bei Patient*innen hauptsächlich PCR-Tests (1. LD: 79% PCR; 2.LD: 76%) einsetzten, berichteten während des 2. LDs mehr stationäre Hospize vom Einsatz von PoC-Schnelltests (PCR: 1. LD: 69%, 2.LD: 35%). Zu beiden LD-Zeiten war die Organisation einer Anschlussversorgung für 70% der Palliativstationen/ Palliativdienste (sehr) schwer. Während des 2. LDs testeten alle Einrichtungen Patient*innen bei Entlassung in eine andere stationäre Einrichtung. Hingegen führten 39% der Palliativ-stationen/Palliativdienste keine Tests vor internen Verlegungen durch. Bei Entlassung in den ambulanten Bereich ohne Anbindung an ein ambulantes Team lag der Anteil nicht Getesteter bei 44%. Während des 2. LDs testeten 62% der stationären Hospize und 24% der Palliativstationen/ Palliativdienste Zugehörige vor Ort. Kein Testnachweis war bei 10% der stationären Hospize und 39% der Palliativstationen/ Palliativdienste notwendig. Dennoch benötigten Zugehörige mit Symptomen einen negativen Testnachweis (1. LD: 29%; 2. LD: 22%). Dabei handelte es sich um selbst finanzierte Tests für einen Besuch im stationären Hospiz (1. LD: 47%) oder auf Palliativstation (1. LD: 25%). Dieser hohe Anteil an selbst finanzierten Test sank während des 2. LDs für Hospizbesuche (0%) aufgrund der Verfügbarkeit von PoC-Schnelltests. Der Anteil bei Palliativstationen blieb auf gleich hohem Niveau. Von Palliativstationen wurden ein Besuchsverbot im Krankenhaus (53%) und Besuchseinschränkungen (41%) berichtet. Ein Großteil entwickelte gesonderte Besuchsregelungen für die Palliativstation (1. LD: 89%, 2. LD: 95%). Besuchseinschränkungen regelten eine maximale Anzahl von Personen (100%), eine maximale Anzahl von Stunden pro Tag (42%) und/oder feste Besuchszeiten (22%). Ein Zutritt nur mit Voranmeldung und Führen von Besuchslisten wurden von 78% der Einrichtungen konsequent umgesetzt. Bei Sterbenden traten weitere Sonderregelungen ein, z.B. mehr Personen pro Tag und/oder Übernachtungserlaubnis. Zwischen den SSPV gab es unterschiedliche Besuchskonzepte. Gesonderte Besuchsregelungen, die Palliativstationen für Schwerstkranke und Sterbende eingeführt haben, galten bei weitem nicht auf anderen Stationen desselben Krankenhauses. Ein persönliches Abschiednehmen bei an SARS-COV-2 Verstorbenen war bei 34% der befragten Palliativstationen/Palliativdiensten während des 1. LDs (2. LD: 24%) nicht möglich. Ein Großteil der Einrichtungen hatte keinen positiv getesteten Zugehörigen, so dass sich die Frage des Besuchs nicht stellte. Ein Besuch oder Abschiednehmen bei/durch COVID-19 Infizierte/n wurde bei einigen SSPV unter Einhalten der Hygienevorschriften ermöglicht: „Positive Zugehörige durften eben¬¬falls besuchen unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften“ bzw. „Im 1. Lockdown komplettes Besuchsverbot für Covid-positive Patienten. Seit einigen Monaten können Angehörige zur Sterbebegleitung auch bei Covid-positiven Patienten mit entsprechender Schutzkleidung zugelassen werden.“ (PallPan-SSPV-21-offene-Antwort). Besuchseinschränkungen waren eine besondere Herausforderung für Mitarbeitende (Palliativstationen 79%, stationäre Hospize 76%). Für 66% der Palliativstationen und 58% der stationären Hospize war das Wegfallen von Begleitungen seitens der Zugehörigen eine (sehr) starke Belastung. Auch belastete die Teams der SSPV das Wegfallen von Berührungen, Einhalten von Abstandsregeln, Wegfallen der Mimik durch MNS-Schutz, der Verlust der Nähe zu Patient*innen und Zeitmangel für Rituale (sehr) stark. Die Arbeitsbedingungen haben sich 60% der SSPV zufolge (sehr) verschlechtert. Schulungen speziell zu COVID-19, Hygiene- und Schutzmaßnahmen gab es bei 50% weder im Online-Format noch in Präsenz; schriftliche Informationen und Anweisungen gab es bei 84%. Als (sehr) stark belastende Sorgen wurde eine Ansteckung Anderer (68%) oder eine eigene Ansteckung (62%) genannt. Nahezu alle stationären Hospize teste¬ten zum 2. LD alle Mitarbeitenden. Die Hälfte der Palliativ-dienste/Palliativstationen testete alle Mitarbeitenden; 29% bei Symptomen und 9% auf eigenen Wunsch zum 2. LD. Eine regelmäßige Teststrategie wiesen insbesondere stationären Hospize (92%) auf; 55% der Palliativstationen/Palliativdienste. Die eine Hälfte der Mitarbeitenden von Palliativstationen/Palliativdiensten verbrachte die Zeit bis zur Feststellung der Testergebnisse in häuslicher Quarantäne und 50% arbeitete weiter bei einer häuslichen Quarantäne außerhalb ihrer Arbeitszeit. Die Zeit bis zum Testergebnis verbrachten die Mitarbeitenden von 80% der stationären Hospize in häuslicher Quarantäne während des 2. LDs. Sowohl bei Palliativstationen als auch bei stationären Hospizen gab es einen großen Anstieg an positiv getestetem Personal während des 2. LDs (Palliativstationen: 1. LD: 23% auf 2. LD: 60%; stationäre Hospize: 1. LD: 13% auf 2. LD: 45%). Insgesamt hatten 41% der SSPV einen Personalmangel aufgrund der COVID-19-Pandemie zum 2. LD.
Schlussfolgerung
SSPV belasteten die durch COVID-19 bedingten Schutz- und Hygienemaßnahmen, Wegfall von sozialen Kontakten sowie Besuchskonzepte. PoC-Schnelltests sollten konsequenter und regelmäßiger bei Patient*innen, Zugehörigen und Mitarbeitenden eingesetzt werden. Regelmäßige Informationen und (Online-) Schulungen, Teststrategien, werden dringend benötigt, entlastende Rituale und teamstärkende Zusammenkünfte sind unverzichtbar.
Verantwortliche
Uniklinikum Bonn | Prof. Lukas Radbruch, Dr. Birgit Jaspers, Dr. Gülay Ateş, Katja Maus
Ethikvotum
480/20, Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn
Spezialisierte Stationäre Palliativversorgung (SSPV) während der COVID-19 Pandemie – Eine qualitative Studie
Ziel der Studie
Beschreibung der Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze von Mitarbeitenden auf Palliativstationen (PS), in Palliativdiensten (PD) und in stationären Hospizen (H) in Bezug auf die Betreuung von Patient*innen mit/ohne COVID-19 in der aktuellen Pandemiesituation
Zielgruppe/Studienteilnehmer
Leitungsebene der o.g. Einrichtungen
Methodik
12 halbstrukturierte, leitfadengestützte Interviews (7 PS, 2 PD, 3 H)
Die wichtigsten Kernaussagen:
• erschwerte Kommunikation (verbal sowie nonverbal) durch Schutzausrüstung als eine zentrale negative Auswirkung auf die Begleitung von Patient*innen und Zugehörigen
• Bei einer Zusammenführung von Teams sind gute Kommunikation sowie klare Strukturen (Weisungsbefugnis) wichtig.
• Insbesondere stationäre Hospize benötigen klare Ansprechpersonen für Vorgaben.
• Leitungspersonen kostet es viel Energie, die Ängste, Sorgen und Unruhe der Mitarbeitenden „abzufangen“.
• Eine umfassende Kommunikation und Dokumentation von Ausnahmen der Besuchsregelungen ist hilfreich.
Ergebnisse
In allen befragten Einrichtungen fanden Umstrukturierungen statt. Palliativstationen wurden teilweise ganz geschlossen oder räumlich verlegt. In den Hospizen erschwerten bauliche Voraussetzungen die Einrichtung möglicher Isolations-/oder Schleusenbereiche. Ein Hospiz schloss dauerhaft ein Zimmer, um dieses für potenzielle Isolationen zu reservieren. Doppelzimmer wurden zu Einzelzimmern umorganisiert, wodurch ebenfalls eine Bettenreduktion entstand. In Extremsituationen der Schließung wurde deutlich, dass gute Kooperationspartner wichtig sind, um Patient*innen rasch verlegen zu können. Verschriftlichte Personalkonzepte waren kaum bis gar nicht vorhanden. Als ein Argument gegen einen belastbaren Plan wurde eine geringe Anzahl an Teammitgliedern genannt, stattdessen wurde auf Flexibilität und Spontanität gesetzt („Nee, haben wir nicht [Personalkonzept entwickelt, Anm. d. A.], weil wir dazu viel zu klein sind. Also letztendlich ist es so, dass ich im Zuge der ersten Welle die Kollegen gebeten habe, ein bisschen auf Rufbereitschaft zu sein.“ ; „Was ich überhaupt nicht gekonnt hätte, wäre dann das Personal in zwei Teile teilen. Also das hatte ich einmal kurz geguckt, also da war so ein Probeplan für zwei Wochen geschrieben, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, aber das wäre einfach nicht hingekommen“). Eine Ausnahme stellt ein stationäres Hospiz dar, in welchem es zu einem COVID-19-Ausbruch kam und sowohl Gäste als auch 50% des Personals infiziert waren. Hier wurde der Ausfall durch zusätzliches Personal in Form von Leiharbeitskräften kompensiert, wobei es zwar auch kein verschriftlichtes Konzept, jedoch feste Strukturen gab. In diesem Falle haben zudem einige der festangestellten Teilzeitkräfte ihre Stellen aufgestockt, so dass immer eine erfahrene Pflegekraft mit im Dienst war. Auch die Leiharbeitsfirma achtete bei der Auswahl auf Berufserfahrung sowie auf die Vermeidung eines häufigen Wechsels der entsandten Arbeitskräfte. Im Falle der Zusammenlegung von Teams oder der Unterstützung durch Mitarbeitende externer Abteilungen – wie es auf einigen befragten Stationen der Fall war – erwies sich eine Tandembildung, jedoch mit einer klaren Leitungsverantwortung in der Palliativmedizin, als hilfreich. Teambesprechungen wurden insgesamt als unverzichtbar beschrieben und fanden teilweise in veränderter Form statt. Supervisionen wurden als essenziell empfunden und in den meisten Fällen daher auch weiterhin unter Einhaltung der Hygienevorschriften ermöglicht (z.B. in Kleingruppen; outdoor; digital; hybrid). Schulungen für Mitarbeitende erfolgten insbesondere in den Kliniken durch die Hygienebeauftragten. Hierbei waren jedoch Probleme in der Weiterleitung erkennbar, da Informationen bei einigen Abteilungen nicht ankamen. In den befragten Hospizen fanden keine (Online-)Schulungen statt. Bei den stationären Hospizen konnte neben aufwändigen, bürokratischen Prozessen das Fehlen persönlicher Ansprechpartner als ein Kernproblem identifiziert werden („bestand die größte Herausforderung darin, dass die Gesetzgeber im Wesentlichen immer Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen formulieren. Und für uns bestand die große Problematik darin zu überlegen: Sind wir nun Krankenhaus oder sind wir eine Pflegeeinrichtung? Und letztendlich mussten wir feststellen: beides sind wir nicht“; „Und die [das Gesundheitsamt, Anm. d. A.] mussten selber eingestehen: Oh ja (…) Hospize gibt es ja auch noch. Also wir sind da, ich sag mal so, ein bisschen vergessen worden“). Hospize nutzten vor allem bestehende Synergien, um sich z.B. Konzepte gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Palliativdienste berichteten von einem geringeren bis gleichbleibenden Patient*innenaufkommen, jedoch durchaus komplexeren Symptomgeschehen. Kompetenzen des Palliativdienst-Teams wurden vor allem auch zur Unterstützung in COVID-Bereichen genutzt. So fanden palliativmedizinische Konsultationen und kollegiale Beratungen statt („Also haben so eine Task Force gebildet, weil wir sehen müssen – und das ist nicht nur so gesagt, dass sehen wir im Alltag – dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erschöpft sind und große Probleme haben mit dieser Situation“).
Multidisziplinäre Angebote wurden in der 1. Welle überwiegend heruntergefahren, während sie in der 2. Welle in nahezu allen Einrichtungen wieder aufgenommen wurden. Insbesondere der Ausfall Ehrenamtlicher, welche überwiegend zur Risikogruppe gehören, war deutlich zu spüren. In den Begleitungen wurden wegfallende Nähe und Berührungen vom Personal durchweg als Herausforderung erlebt. Fehlender Körperkontakt wurde teilweise durch das Pflegepersonal kompensiert („all dieses ist mit den Berührungen und Einreibungen und Pflege zum Teil doch deutlich verlängert worden, damit da umso mehr Hautkontakt stattfindet. (…) Ich weiß nicht, wie oft wir in diesem Jahr hier Haare gewaschen haben“). Auch die stark eingeschränkten bis wegfallenden Kontakte der Gäste und ihrer Familien untereinander empfanden die Hospize als belastend („damit wird das Hospiz tatsächlich zum Sterbehaus und nicht zum Lebenshaus“). Im Umgang mit den Beschränkungen wird Flexibilität gefordert, um eine gute Kommunikation zu ermöglichen. Im Rahmen der Besucherregelungen wurden durchweg Ausnahmeregelungen für sterbende Menschen durchgesetzt. Hierbei erwiesen sich – falls möglich – ein separater Zugang ins Haus (z.B. über Terrassen) sowie das Führen von Kontaktlisten als hilfreich. Häufig berichteten Konflikten im Team aufgrund des Umgangs mit Kontaktbeschränkungen konnte mit einer transparenten Kommunikation geschaffener Ausnahmeregelungen (z.B. via Verschriftlichung im Dokumentationssystem) entgegengewirkt werden. Das Abschiednehmen von nicht-infizierten Verstorbenen wurde auf Palliativstationen und in Hospizen mit einer begrenzten Anzahl an Personen im Zimmer oder mit mehreren Personen im Freien ermöglicht. Gedenkrituale wurden nach Möglichkeit alternativ gestaltet (z.B. Gedenkwandern; gemeinsame Andachtsstunde zum gleichen Zeitpunkt an unterschiedlichen Orten). Die Zusammenarbeit mit Bestattungsinstituten gestaltete sich überwiegend unverändert. Finanzielle Einbußen entstanden durch nicht abrechenbare Komplexprozeduren aufgrund des Wegfalls an Angeboten sowie gesperrte Betten (z.B. aufgrund von Isolationsbereichen). Für Mitarbeitende bestanden keine einheitlichen Regelungen bzgl. Testungen. Für Besucher*innen gab es teilweise ein Testangebot (z.B. für Übernachtungen). Für Patient*innen/Gäste war ein negativer PCR-Test vor Aufnahme ab der 2. Welle Pflicht, weshalb es zu Problemen in der Anbindung (Aufnahmen/Entlassungen/Verlegungen) kam („dass es insbesondere aus dem ambulanten Bereich häufig ganz kurzfristig zu Aufnahmen kommt und es den ambulanten Bereichen nicht möglich ist so kurzfristig PCR-Tests zur Verfügung zu stellen“). Eine Knappheit an Schutzmaterialien trat vor allem in der 1. Welle auf, in der 2. Welle wurden hingegen Preiserhöhungen beobachtet. Zudem wurde ein Bedarf an COVID-Stationen/-Bereichen geäußert („Ich würde mir auch wünschen, dass wir eine Art Palliativzimmer bekommen auf dieser Isolierstation.“ „Das zum Beispiel wäre so eine Offenheit für ein COVID-Hospiz. Das würde ich mir wünschen.“)
Schlussfolgerung
Trotz nicht verschriftlichter Personalkonzepte konnte überwiegend eine stabile Versorgung mit den bestehenden Teamstrukturen gewährleistet werden – jedoch in veränderter Form. Der Wegfall multidisziplinärer Angebote, ein beeinträchtigter Körperkontakt sowie eine veränderte Kommunikation wurden als Einschränkungen erlebt. Diese und oben erwähnte Ergebnisse wurden für die thematische Entwicklung und Formulierung von Fragen für die Online-Erhebung (AP5.2) genutzt.
Verantwortliche
Uniklinikum Bonn | Prof. Lukas Radbruch, Dr. Birgit Jaspers, Dr. Gülay Ateş, Katja Maus
Ethikvotum
480/20, Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn