Studienergebnisse
Patient*innen, Angehörige und Hinterbliebene
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Bedürfnisse von Patient*innen ohne COVID-19 Diagnose und deren Angehörige – Eine qualitative Interviewstudie
Ziel der Studie
Beschreibung von Auswirkungen der aktuellen COVID-19-Pandemie auf die Bedürfnisse von Patient*innen in der Palliativmedizin ohne COVID-19-Diagnose und deren Angehörige
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Patient*innen ohne COVID-19-Diagnose und deren Angehörige im Setting Palliativstation und SAPV
Methodik
Qualitative Interviewstudie mit semi-strukturierten Interviews mit Patient*innen der Palliativstation oder SAPV und deren Angehörigen. Die Analyse erfolgte induktiv und inhaltsanalytisch unter Anwendung der Framework Methode.
Die wichtigsten Kernaussagen
- Bedürfnisse von Patient*innen und Angehörigen im Rahmen der COVID-19-Pandemie gleichen den bekannten Bedürfnissen, die mit einer Situation am Lebensende einhergehen.
- Zusätzlich bestehen Pandemie spezifische Bedürfnisse, wie zum Beispiel die Sorge um
eine Infektion. - Soziale Beziehungen sollten unter Anwendung entsprechender Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, da sie zentrale Ressourcen von Patient*innen und Angehörigen in der Palliativversorgung darstellen, ansonsten sind isolationsbedingte Auswirkungen möglich.
- Angehörige erleben in ihrer Rolle als Versorgende ein besonderes Maß an Belastung.
- Kontinuität, Qualität und Verlässlichkeit in palliativen Versorgungsabläufen sind in
solch einer Situation für die Betroffenen ein Garant für Sicherheit.
Ergebnisse
Allgemeine Bedürfnisse von Patient*innen und Angehörigen in einer palliativen Versorgungssituation:
Diese Bedürfnisse sind assoziiert mit der palliativen Lebenssituation und stehen in keinem zeitlichen oder inhaltlichen Kontext zur COVID-19-Pandemie und umfassen die Themen: Physische Faktoren, Emotionen, Krankheitsverarbeitung, praktische Vorbereitung (bzgl. Sterben und Tod), Autonomie, Existenzielle & Spirituelle Faktoren, Versorgung, Soziale Faktoren.
Sorgen und Ängste von Patient*innen und Angehörigen, die im zeitlichen oder inhaltlichen Kontext zur COVID-19-Pandemie stehen:
• Initiale Reaktion zur COVID-19-Pandemie in Bezug auf das eigene Leben/Erkrankungssituation: Viele Patient*innen benennen auf Nachfrage die Auswirkung der Pandemie als geringfügig, schildern teilweise dennoch vielfältige Bedürfnisse und Folgen, die Pandemie-assoziiert sind. Zu beachten ist, dass initiale Reaktionen der Betroffenen nicht unbedingt die wirkliche Bedürfnislage abbilden. Aus diesem Grund sollten Pandemie-assoziierte Bedürfnisse, Sorgen und Anliegen von Patient*innen wiederholt erfragt werden, damit Themen abseits der Erkrankung Raum bekommen können.
• Sorgen bezüglich einer Infektionsgefahr: mögliche Infektion der Patient*in, mögliche Infektion des klinischen Teams, mögliche Infektion von Angehörigen (inklusiv Sorge um Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung): „Wobei mit Corona wäre natürlich, wenn ich das kriegen würde, ne, dann würde ich ja auch hier ausfallen. Heißt, er [Patient] bräuchte ja dann auch (…) quasi eine Pflegekraft, die für ihn da ist. (…) Beziehungsweise auch, ja, wenn er sich infiziert, was ist denn DANN? Dann stirbt er eventuell an CORONA, weil ich ihn angesteckt habe? Also auch dann natürlich schon so ein bisschen Angst (…) wegen SCHULDgefühlen dann auch, ne? Die man da eventuell hat.“ – (Angehörige eines SAPV Patienten, 021)
• Sorgen bezüglich des Weltgeschehens bzw. der gesamtgesellschaftlichen Situation
Veränderungen, die im zeitlichen oder inhaltlichen Kontext zur COVID-19-Pandemie stehen:
● Auswirkungen auf Psyche, Krankheitsverlauf und Therapieentscheidung: Massive mentale Belastung entsteht durch Besuchseinschränkung/-verbot sowie durch starke Reduktion sozialer Kontakte. Besonders betroffen sind alleinstehende und körperlich oder geistig eingeschränkte Patient*innen. Auswirkung der Kontakteinschränkung und Besuchsregelung im Krankenhaus stellen einen Grund für die Nichtaufnahme von Therapieansätzen dar.
● Allgemeine Versorgungsfragen, nicht spezifisch palliativmedizinisch: Uneinheitliche Kommunikation im Team und unklare Informationen führen zu Unsicherheiten auf Seiten der Betroffenen (z.B. Besuchs-/Maskenregeln). Nutzung von Schutzkleidung (Masken) und Testungen werden von Angehörigen weitgehend akzeptiert und als nicht so belastend wahrgenommen wie Besuchseinschränkungen. Im Falle von Besuchsregelungen, die nur den Kontakt durch eine Besuchsperson ermöglichen, erleben Angehörige neben der Möglichkeit des Besuchs auch eine Belastung durch die hohe Verantwortung und Verpflichtung, die aus diesem einzigen Kontakt resultiert. Ein Besuchskonzept mit Besuchsberechtigung von mindestens zwei volljährigen Angehörigen von Betroffenen sowie Berücksichtigung von Kindern als zusätzliche Besuchsperson ist erwünscht.
● Rolle der Angehörigen als Versorgende: Hier lässt sich eine Veränderung abbilden: Kontaktbeschränkungen erschweren die Ausübung dieser Rolle im Setting Palliativstation. Außerdem fehlt in diesen Fällen die Einschätzung der Angehörigen hinsichtlich des Zustandes der Patient*innen. Im Setting SAPV ergibt sich eine neue Dimension von Verantwortung: Angehörige müssen nun zusätzlich eine Kontaktreduktion als Infektionsschutz gegenüber einer Aufrechterhaltung sozialer Kontakte am Lebensende abwägen. Hier geraten Angehörige in Entscheidungssituationen, die zu psychischen und moralischen Belastungen führen können. „Und meine Entscheidung war es wirklich auch abzuwägen und zu sagen, okay, wenn meine Mama infiziert werden WÜRDE und eine Lungenentzündung BEKÄME und daran verstürbe, dann MUSS, kann und will ich das verantworten, weil sie sonst wochenlang, monatelang vielleicht die Leute nicht sieht, die ihr extrem wichtig sind und die zum Lebenserhalt auf anderer Ebene beitragen und die zu ihrer Lebensqualität, ja, entscheidend gehören. Und dann habe ich das Risiko der Lebensverkürzung sehr klar in Kauf genommen“ – (Angehörige einer SAPV Patientin, 018)
● Spezifisch palliativmedizinische Versorgung: Initiale Reaktion zur COVID-19-Pandemie in Bezug auf das eigene Leben/Erkrankungssituation: Kontinuierliches Unterstützungsangebot der Betroffenen (bspw. regelmäßige Telefonkontakte, anhaltende wenn auch reduzierte regelmäßige Hausbesuche) durch das multiprofessionelle Team (inkl. psychosozialer Berufsgruppen) zur Aufrechterhaltung der ambulanten und stationären Versorgung garantieren Betroffenen Sicherheit. Patient*innen und Angehörige wertschätzten die Möglichkeit gemeinsame Zeit zu verbringen. Der Wechsel von Akut- auf Palliativstation ermöglicht großzügigere Besuchsregelungen im Kontext des nahenden Lebensendes.
● Auswirkungen auf das soziale Miteinander sowie sonstige Alltagsveränderungen: Patient*innen berichten über die starke Ausprägung ihrer emotionalen Angewiesenheit auf Angehörige und die Notwendigkeit des Kontakts. Deswegen ist die limitierte gemeinsame Zeit für Angehörige und Patient*innen zentral. Schlussfolgerung Palliative Bedürfnisse am Lebensende bleiben auch im Rahmen der COVID-19-Pandemie bestehen, werden allerdings facettenreicher, da sie durch COVID-19-Pandemie spezifische Bedürfnisse ergänzt werden. Zu beachten ist, dass ein besonderes Augenmerk auf den Bedürfnissen der Angehörigen als Versorgende liegen sollte.
Verantwortliche
LMU München | Natalie Berges, Dr. Farina Hodiamont, Prof. Dr. Claudia Bausewein
UKE Hamburg | Dipl.-Soz. Anneke Ullrich, Dr. Christina Gerlach
Ethikvotum
Positives Votum der Ethikkommission der LMU München (20-403)
Sterben während der COVID-19-Pandemie: eine Online-Befragung Hinterbliebener zur Begleitung von Patient*innen am Lebensende mit und ohne COVID-Infektion
Ziel der Studie
Quantitative Erfassung der Erfahrungen Hinterbliebener von Patient*innen, die während der COVID-19-Pandemie in Deutschland starben, in Hinblick auf die Begleitung der versterbenden Person. Diese Erkenntnisse sollen eine bestmögliche Versorgung und Begleitung bei künftigen Pandemien erlauben.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Hinterbliebene von während der Pandemie in Deutschland Verstorbenen unabhängig davon, ob an COVID-19 erkrankt, oder nicht.
Methodik
Offene, deskriptive Online-Umfrage inklusive Freitextoptionen mit hinterbliebenen Angehörigen
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Angehörige wünschen sich differenzierte, individuelle Entscheidungen, sodass Besuche (frühzeitiger) ermöglicht werden können.
- Körperkontakt am Lebensende ist für alle Beteiligten unerlässlich.
- In der Kommunikation mit den Versorgenden wünschen sich die Angehörigen einen festen Ansprechpartner, der sich Zeit für Fragen und Gespräche nimmt.
- Angehörige von Patienten, die zu Hause sterben, fühlten sich weniger belastet.
- Hinterbliebene betonten während der SARS-CoV2-Pandemie das Bedürfnis nach mehr Kontakt mit den Patienten und dem medizinischen Personal, doch die Möglichkeiten, zumindest virtuell in Kontakt zu treten, waren begrenzt.
Ergebnisse
Angehörige
106 Fragebögen wurden ausgefüllt; die Ergebnisdarstellung beruht auf den 81 Fragebögen, die bis zum Ende ausgefüllten wurden, in denen Angehörige über nahestehende, während der Covid-19 Pandemie verstorbene, Patient*innen berichten. Sie waren im Schnitt 57 Jahre alt (SD = 12.4), 67/81 waren Frauen und 75/81 waren nicht mit dem Corona-Virus infiziert.
Patient*innen
Bei den meisten verstorbenen Personen, handelte es sich um ein Elternteil (52/81) oder die/den Partner*in (14/81) der befragten Person. Das Alter der verstorbenen Patient*innen (50/81 Frauen) betrug im Schnitt 82.4 Jahre (SD = 11.6; min = 41; max = 102). Die überwiegende Mehrheit der Verstorbenen war nach Angabe der Angehörigen nicht mit dem Covid-19-Virus infiziert (73/81). Als Todesursache wurden Krebs (20/81), Herz-Kreislauferkrankungen (18/81), oder sonstige Gründe genannt (35/81) angegeben; 4/81 verstarben aufgrund von Covid-19. Die meisten Patient*innen verstarben im Krankenhaus (30/81; davon auf Normalstation: 16/30) oder in einer Pflegeeinrichtung (27/81; davon auf Normalstation der Pflegeeinrichtung: 24/27). Wenn die Patient*innen Zuhause verstarben (9/81), wurden sie vom SAPV-Dienst (6 x genannt), dem ambulanten Pflegedienst (5x), der 24-Stunden Betreuung (2x) oder anders versorgt (4x, Mehrfachnennungen möglich). 8/81 verstarben im Hospiz oder an einem anderen Ort (7/81; meist eine Palliativstation). Während der letzten 2 Lebenstage war überwiegend Besuch erlaubt: teilweise uneingeschränkt, häufig aber mit Einschränkung der Besucherzahl oder der Dauer des Besuchs (64/81). 58/81 der Angehörigen fühlten sich durch die eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten belastet. 53/64 der Angehörigen, die Patient*innen während der letzten beiden Lebenstage besuchen durften, fühlten sich sicher vor einer Covid-19 Infektion. 25/64 Besucher*innen wurden bezüglich der Schutz- und Hygienemaßnahmen geschult (17/25 durch zuvor geschultes Personal). 34/64 Angehörigen, die Patient*innen besuchen durften, gaben an, dass genug Schutzmaterialien vorhanden war (21/64 wussten es nicht). 29/64 der Angehörigen empfand die Kommunikation durch die Maske erschwert. Es gab überwiegend keine Möglichkeiten, online Kontakt zu den Patient*innen herzustellen (56/81), wenn ja, dann wurde es nicht gezielt durch die Einrichtung ermöglicht (18/81). Alternativen zur Kommunikation mit der/dem Patient*in waren Telefonate mit dem Pflegepersonal (50x) oder gelegentlich mit der Ärztin/dem Arzt (30x). Teilweise wurde auch mit der/dem Patient*in telefoniert (27x, Mehrfachnennungen möglich). 44/81 der Patient*innen verstarben in Begleitung (mehrheitlich von Angehörigen; 39/44); 34/81 verstarben allein. Wenn die/der Patient*in allein starb, dann in 10/34 aufgrund der eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten (in 20/34 verstarben unabhängig von Besuchseinschränkungen allein). Die Mehrheit der Befragten fanden, dass die/der Patient*in unter den gegebenen Umständen am richtigen Ort verstarb (53/81).
In den Freitext-Angaben wurden von den Angehörigen folgende Themen genannt:
● Besuchsverbot/Besuchseinschränkungen
– Keine körperliche Nähe
– Keine „angemessene“ Sterbebegleitung (frühere Besuche ermöglichen)
– Alleine Besuchen zu müssen
– Autonomie erhalten/differenzierte Entscheidungen
● Kommunikation mit Versorgenden
-Informationsfluss/Transparenz
-(kein) empathischer Umgang mit Angehörigen
● Beratungs-/Unterstützungs-/spirituelle/religiöse Angebote für Angehörige und Patient*innen; Beerdigungs- und Trauersituation (dabei Mangel an in-den-Arm-nehmen, persönlich über Verlust sprechen)
● Schutzausrüstung/Masken (teilweise als störend, teilweise als nicht ausreichend wahrgenommen)
Schlussfolgerung
Für zukünftige Pandemien/weitere Wellen der jetzigen Pandemie muss ein Weg gefunden werden, um die Begleitung und Unterstützung von Patient*innen am Lebensende und ihren Angehörigen mit Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit in Einklang zu bringen. Ein frühzeitiger Kontakt mit sterbenden Angehörigen muss erleichtert werden, der wenn irgendwie möglich auch physischen, (gemeinsamen) Kontakt erlaubt und Entscheidungen auf Einzelfallebene zulässt. Wenn dies nicht möglich ist, bedarf es virtuelle Kontaktmöglichkeiten mit den Patient*innen und eine offene, empathische und transparente Kommunikation von Seiten der Versorgenden.
Verantwortliche
UKK Köln | Prof. Dr. Steffen Simon, Karlotta Schlösser, Berenike Pauli, Dr. Dr. Julia Strupp, Prof. Dr. Norma Jung, Charlotte Leisse, Prof. Dr. Raymond Voltz
Ethikvotum
Positives Ethikvotum der Uniklinik Köln liegt vor (20-1488_1)
Versorgung am Lebensende während der COVID-19-Pandemie: Eine Interviewstudie mit hinterbliebenen Angehörigen.
Ziel der Studie
Erforschung der Erfahrungen von Hinterbliebenen mit der Versorgung und Begleitung am Lebensende während der COVID-19-Pandemie, mit dem Ziel, bei zukünftigen Pandemien die bestmögliche Begleitung am Lebensende zu gewährleisten.
Zielgruppe/Studienteilnehmer*innen
Hinterbliebene von während der bisherigen Pandemie in Deutschland Verstorbenen unabhängig davon, ob sie an COVID-19 erkrankt waren oder nicht.
Methodik
32 semistrukturierte Einzelinterviews mit Hinterbliebenen von Patient*innen, die zwischen März und Oktober 2020 verstorbenen sind. Die Interviews wurden telefonisch, persönlich und per Videoanruf geführt. Die Interviewdaten wurden transkribiert und inhaltsanalystisch ausgewertet.
Die wichtigsten Kernaussagen:
- Angehörige erleben durch die fehlende Begleitung am Lebensende/den fehlenden Abschied aufgrund von Besuchseinschränkungen und -verbote ein besonderes Maß an Belastung, auch noch Monate nach dem Versterben.
- Wenn keine Besuche möglich/erlaubt sind, sind die Angehörigen besonders auf die Unterstützung von Versorgenden aus den Einrichtungen angewiesen.
- Die Angehörigen sind dankbar für proaktive Ideen zu alternativen Kontaktmöglichkeiten mit den Patienten.
- Feste Ansprechpartner und Gesprächszeiten, in denen nicht nur medizinische, Informationen, sondern auch Informationen zum seelischen Befinden der Patienten ihren Platz finden, spielen in Zeiten der Pandemie für Angehörige eine übergeordnete Rolle.
- Trotz Pandemie wurden auch positive Erfahrungen in der Begleitung am Lebensende gemacht, dabei spielen folgende Aspekte eine zentrale Rolle: die Begleitung im häuslichen Umfeld, Einzelfallentscheidungen, Empathie durch die Versorgenden und alternative Kontaktmöglichkeiten (Besuchsräume, Treffen am Fenster usw.)
Ergebnisse
Die Interviewpartner*innen wurden ermutigt, über positive und negative Erfahrungen in der Sterbebegleitung während der COVID-19 Pandemie und die damit verbundenen Chancen und Barrieren zu sprechen. Die Datenerhebung erbrachte dabei als zentralen Aspekte: die Kommunikation und die Besuchsmöglichkeiten oder -einschränkungen.
Die 32 Interviews untermauern die Bedeutung von Besuchen ohne Einschränkungen bzw. die Schwierigkeiten, die Angehörige erleben, wenn Besuche unabhängig von einer COVID-19-Diagnose nicht oder eingeschränkt erlaubt sind. Die COVID-19-Pandemie hat die Erfahrungen von Tod, Sterben und Trauer verändert. Besuchs- und Kontaktbeschrän-kungen am Lebensende der Patient*innen beeinträchtigen die Fähigkeit der Angehörigen sich vor oder nach dem Tod zu verabschieden. Angehörige berichten über komplizierte Trauer und traumatisierenden Erfahrungen:
„Ja, es war für mich ein bisschen traumatisch, weil ich am Schluss die letzten fünf Tage nicht bei ihm sein konnte. Er war gestürzt, dann ja im Krankenhaus und, ja, es war Besuchsverbot. Das heißt, ich wurde erst angerufen, nachdem er gestorben war.“ (Interview_164: 5)
Zusätzlich zu den Besuchsbeschränkungen bemängeln die Angehörigen, dass verschobene Beerdigungen und Beisetzungen ohne Anwesenheit von Familie oder Freunden eine Hürde im Trauerprozess darstellen:
„Er ist (…) in ner Blitzaktion durch den Bestatter da rausgeholt worden, in der Tüte, […] entsorgt, ist wie ein Corona-Patient behandelt worden, obwohl man gar nicht wusste, dass es das war und kam dann auch noch der blöde Spruch, „Ja, ist ja egal, wird sowieso verbrannt.“ Und wir haben gesagt, es wird keiner verbrannt […]. Ich bin ganz alleine eine Woche später mutterseelenallein hinter dem Sarg hergelaufen. Also es war grauenhaft.“ (Interview_806:12-14).
Positiv bewerten die Angehörigen die Einzelfallentscheidungen oder die Versorgung im häuslichen Umfeld, da in beiden Fällen eine Begleitung am Lebensende möglich ist:
„da war ja Besuchsverbot. Aber trotzdem waren die Ärzte […] haben das so geregelt, dass wir die zweimal besuchen konnten in dieser Zeit. Und das habe ich in, (…) Entschuldigung, das habe ich in guter Erinnerung.“ (Interview_248: 4).
Neben den Einzelfallentscheidungen wissen die Angehörigen die vielen kreativen Lösungen, um den Kontakt zwischen Angehörigen und Patient*innen aufrechtzuerhalten und einer Vereinsamung der Patient*innen entgegen zu wirken, zu schätzen. Es wird sich zum Winken am Fenster verabredet, kleine Aufmerksamkeiten an der Tür abgegeben, auf virtuellem Wege kommuniziert, Hofkonzerte organisiert und ein abgetrennter Besuchsraum errichtet. Angehörige, bei denen eine solche Kontaktaufnahme nicht möglich war, äußern ihr Unverständnis über die Uneinheitlichkeit der Regeln in den einzelnen Versorgungseinrichtungen. Die Angst vor dem Sterben ohne Abschied beeinflusst laut Angehörigen folglich die Wahl der Versorgungseinrichtung beispielsweise weg vom Krankenhaus hin zur häuslichen Pflege. Die Interviews zeigen auch bezüglich der Kommunikation ein heterogenes Bild, denn die Hinterbliebenen thematisieren sowohl die als positiv empfundene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme wie z.B. feste Sprechzeiten und Ansprechpartner, vereinzelt kam es aber auch zu gravierenden Lücken im Informationsfluss bis hin zum Kontaktverlust zu den Versorgenden und den Patient*innen. Die meisten Befragten wünschen sich einen Informationsfluss mit einer Bringschuld seitens der Versorgungen, sodass sie sich weniger als Bittsteller fühlen:
„die Informationen an die Angehörigen muss kontinuierlich fließen und, ich finde, auch von alleine. Also das kann nicht ne Holschuld sein“ (Interview_789: 171-172).
Hierbei spielt für die Angehörigen nicht nur der Informationsfluss, sondern auch die Art der Informationen eine bedeutende Rolle. Einige hätten sich neben den medizinisch notwendigen Informationen mehr über das Leben und seelische Befinden ihrer Angehörigen während der Pandemie gewünscht. Möglicherweise hätte dies auch die Sorge um die Einsamkeit, Isolationen der Patient*innen gelindert.
Schlussfolgerung
Besuchsbeschränkungen am Lebensende des Patienten stellen auch Monate nach dem Tod eine große Belastung für die Hinterbliebenen dar. Es ist wichtig Angehörigenbesuche zu ermöglichen, um gemeinsame Zeit und enge Begleitung zu gewährleisten. Zusätzlich wünschen sich die Angehörigen während der Begleitung am Lebensende eine proaktive Kommunikation, Informationen zum seelischen Befinden der Patient*innen und Transparenz seitens der Versorgenden.
Verantwortliche
UKK Köln | Prof. Dr. Steffen Simon, Berenike Pauli, Karlotta Schlösser, Dr. Anne Pralong, Dr. Dr. Julia Strupp, Prof. Dr. Norma Jung, Charlotte Leisse, Prof. Dr. Raymond Voltz
Ethikvotum
Ein positives Ethikvotum der Uniklinik Köln liegt vor (20-1488_1).